| # taz.de -- Zu viel Bier in den Haaren | |
| > Von Freund*innenschaften, Feminismus und der Angst vorm Pinkeln: Zum 38. | |
| > Mal fand das Treffen junger Autor*innen an den Berliner Festspielen | |
| > statt. Das Festival gibt jungen Menschen zwischen 11 und 21 Jahren eine | |
| > Stimme | |
| Von Kajo Roscher | |
| Ernst und rau klingt ihre Stimme, als Lilli Biller auf der Bühne der | |
| Berliner Festspiele zu lesen beginnt. In ihrem Text “meine oma ist am | |
| feministischen kampftag gestorben“ schreibt sie über mentale Gesundheit, | |
| über die Angst vor dem Frauwerden und über patriarchale Ungerechtigkeiten. | |
| Eindrucksvoll beschreibt sie eine Großmutter, die in einem kalten, sterilen | |
| Krankenhaus im Sterben liegt, und deren Enkelin, eine junge, wütende Frau, | |
| die auf der Straße für ihre Rechte demonstriert. | |
| Immer wieder greift sie diese beiden zentralen Bilder ihres Texts | |
| abwechselnd auf. Miteinander verschmelzen lässt sie sie durch eine wütende | |
| und kraftvolle Beschreibung dessen, was es in dieser Gesellschaft bedeutet, | |
| eine Frau zu sein. Ganz ruhig sitzt sie auf dem grauen Sessel, doch ihr | |
| Text ist kämpferisch und fordernd: “stirb nicht, weil du eine frau bist! | |
| stirb weil du wütend bist, vernarrt, verrückt, alt, langweilig, | |
| leichtsinnig, lebensmüde… aber solange frauen sterben, weil sie frauen | |
| sind, muss gekämpft werden“. Es geht um den “Zwang und die Gewalt, die ein | |
| ganzes Leben bestimmt, über Generationen hinweg“, erklärt die 18-jährige | |
| Autorin aus Berlin. | |
| Biller ist eine der 20 Preisträger*innen, die Freitagabend auf der | |
| Auftaktveranstaltung des diesjährigen Treffens junger Autor*innen | |
| ausgezeichnet wurde. Bereits zum 38. Mal fand das Festival statt, gefördert | |
| wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Unter den | |
| ehemaligen Preisträger*innen befinden sich bekannte Namen, wie [1][Nora | |
| Bossong] oder [2][Antje Rávic Strubel]. | |
| Das “Herzstück“ des Festivals seien die Workshops und Lektorate, so Susanne | |
| Chrudina, Leiterin des Treffen der jungen Autor*innen. Dort können die | |
| jungen Schreibenden in vertrauter Atmosphäre ohne Publikum und unter | |
| professioneller Anleitung an ihren Texten arbeiten und sich austauschen. | |
| Das Ziel der Veranstaltung ist es, “junge Talente zu unterstützen und | |
| sichtbar zu machen“, sagt Chrudina. | |
| Im Laufe des Abends wird es oft still im Zuschauersaal, wenn die | |
| Autor*innen ihre Texte über Zukunftsangst, Diskriminierungserfahrungen | |
| und Depressionen lesen. Doch es gibt auch leichte Momente und zwischendurch | |
| wird immer wieder viel gelacht. Zum Beispiel als Lotti Spieler, eine | |
| 19-jährige Autorin aus Berlin, an der Reihe ist. Voller Energie betritt sie | |
| die Bühne und kündigt mit einem schiefen Grinsen ins Mikrofon an: “Ich fang | |
| dann jetzt mal an.“ | |
| Ihr Text heißt “too scared to piss“ und könnte kaum direkter sein. Sie | |
| schreibt über das Pinkeln zwischen Autos, über das Jugendlichsein in Berlin | |
| und über zu viel Bier in den Haaren. Mit beeindruckender Leichtigkeit | |
| behandelt sie große Themen wie das Einnehmen von Raum als Frau und den | |
| Gedanken, doch die beste Freundin küssen zu wollen. | |
| Bei der Auswahl der Texte achte die achtköpfige Jury nicht vordergründig | |
| auf technische Exzellenz, so Chrudina. Es gehe vielmehr darum, „dass | |
| greifbar wird, dass die Autor*innen eine Dringlichkeit verspüren, sich | |
| zu den Themen zu äußern.“ Teilnehmen an dem bundesweiten Wettbewerb, der | |
| dem Festival vorausgeht, können Jugendliche zwischen 11 und 21 Jahren. | |
| Die jüngste Preisträgerin ist die 11-jährige Friederike Junge. Ihr Text “So | |
| sind Freunde nicht, sie sind anders“ handelt von Loyalität und der | |
| Enttäuschung, im Stich gelassen zu werden. Nachdem die Protagonistin am | |
| Ende der Geschichte doch wahre Freundschaft findet, setzt sich die junge | |
| Autorin wieder in die erste Reihe. | |
| Dort sitzen alle Preisträger*innen beieinander, wirken bereits vertraut | |
| und sprechen sich vor ihren Lesungen gegenseitig aufmunternd zu. Besonders | |
| freut sich Friederike Junge auf die Anthologie, die im kommenden Frühjahr | |
| erscheinen wird. Dort wird zusammen mit den Texten der anderen | |
| Preisträger*innen auch ihr Text veröffentlicht werden. | |
| 20 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kajo Roscher | |
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