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# taz.de -- Aus ferner Zeit
> Die Ausstellung „If the Berlin Wind Blows My Flag“ zeigt an drei Orten,
> wie das Berliner Künstlerprogramm die West-Berliner Kunstszene zu
> Mauerzeiten prägte
Bild: Endre Tót, Berlin TÓTalJOYS, Westberlin, 1979, SW-Fotografie
Von Tilman Baumgärtel
In dem sowieso tollen Film „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ (1978)
von Helke Sander gibt es eine besonders tolle Szene, in der die
Protagonistinnen die Vernissage einer Ausstellung im Schloss Charlottenburg
besuchen. Wenn man einen Eindruck davon bekommen will, wie überschaubar und
gemütlich-muffelig die West-Berliner Kunstszene zu Mauerzeiten gewesen ist,
dann ist diese offensichtlich bei einer echten Ausstellungseröffnung
gedrehte Passage ein herrliches Zeugnis: Alle scheinen unter einer Decke zu
stecken oder sich wenigsten zu kennen, alle tragen zweifelhafte
70er-Jahre-Klamotten.
Je mehr das West-Berlin vor der Wende als diese sagenhafte Periode
mystifiziert wird, in der David Bowie in der Disco Dschungel abhing, Wim
Wenders und Anselm Kiefer in Oswald Wieners Restaurant Exil über Bilder
diskutierten und Christiane F. mit Musikern der Einstürzenden Neubauten
Musik aufnahm, desto wohltuender ist es, ab und zu mal ein authentisches
Dokument zu Gesicht zu bekommen, das einen wieder auf den Boden der
Tatsachen bringt.
West-Berlins Kunstszene war eine mit viel Staatsknete am Leben erhaltene
Angelegenheit, in der sich dank günstiger Lebensbedingungen Platz für
allerhand Abwegiges und durchaus auch Innovatives bot. Dieses spielte sich
aber in einem heute unvorstellbar überschaubaren Rahmen ab. Dass diese
Situation schon damals Künstler aus der ganzen Welt anzog, zeigt eine
Ausstellungstrilogie, die derzeit in der daadgalerie, dem Neuen Berliner
Kunstverein (n.b.k.) und der Galerie im Körnerpark zu sehen ist. Auf der
Basis eines Digitalisierungsprojekts des Archivs der daadgalerie zeigen die
Kuratorinnen Nóra Lukács und Melanie Roumiguière, was für eine eminente
Bedeutung das Berliner Künstlerprogramm (BKP) des DAAD für die Kunstszene
der Stadt hatte, aber auch, wie es ein Instrument staatlicher
Kulturförderung war, mit dem durchaus politische Ziele verbunden waren und
das ganz auf die spezielle Situation der geteilten Stadt abgestimmt war.
Das Künstlerprogramm war 1965 aus einem Stipendium der US-amerikanischen
Ford Foundation hervorgegangen und lädt bis heute Künstler aus der ganzen
Welt für längere Aufenthalte nach Berlin ein. Künstler wie Ed und Nancy
Kienholz, Shigeko Kubota, Joan La Barbara, Maria Lassnig, Lawrence Weiner,
Joan Jonas oder Michelangelo Pistoletto kamen so in die Stadt. Manche der
Gäste ließen sich durch ihren Aufenthalt zu Werken mit dezidiertem
Berlinbezug inspirieren wie Yvonne Rainer, Ben Vautier oder Eduardo
Paolozzi. Einige von ihnen blieben für Jahre, wenn nicht gleich für den
Rest ihres Lebens wie Dorothy Iannone oder Emmett Williams. Wie der damals
sehr bekannte Kunstkritiker Heinz Ohffs als Antwort auf eine Frage nach der
Berliner Kunstszene feststellte, hatte West-Berlin zwar keinen Kunstmarkt,
war aber eine Künstlerstadt, in der es sich unter angenehmen Umständen
produzieren und leben ließ.
Gerade für Künstler aus dem Ostblock wie Milan Knížák oder Braco
Dimitrijević war der Aufenthalt in Berlin ein Schritt auf dem Weg zu einer
internationalen Kunstkarriere; als Endre Tót von den ungarischen Behörden
die Ausreise verboten bekam, formierte sich in Berlin eine
Unterstützerfront von Künstlern, die sich für den Kollegen einsetzten, wie
man einer Reihe von Briefen und anderen Dokumenten entnehmen kann. Als der
1979 dann schließlich doch kommen durfte, verlieh er seiner Freude über
diese Ungebundenheit durch herzzerreißende Performances und Fotoarbeiten
quer durch Stadt Ausdruck. Die neue Wandarbeit, die Tot für die
daad-Galerie geschaffen hat, ist allein schon Grund genug, die Ausstellung
zu besuchen.
Neben den künstlerischen Werken dokumentieren Briefe, Memos und andere
Akten, was sich beim DAAD hinter den Kulissen abspielte. All das sind
Dokumente aus einer weit entfernt wirkenden Zeit, als Künstler Bilder ihrer
Werke als Dias mit der Post statt als Email-Attachment versandten und –
wenn es schnell gehen musste – ein Telegramm geschickt wurde.
Auf der Schreibmaschine getippte Briefe, Schwarz-Weiß-Fotos und
verschwommene analoge Videos verlaufen zur Ästhetik einer lange
untergegangenen Periode, als eine kleine Gruppe von damals noch nicht so
alten weißen Männern die Berliner Kulturlandschaft unter sich aufgeteilt
hatte und für jeden DAAD-Gast eine Ausstellung, ein Konzert oder eine
Lesung in der Akademie der Künste, der Nationalgalerie oder im Gropius-Bau
eingerichtet werden konnte.
Manche der Briefwechsel lesen sich fast wie Drehbücher, so zum Beispiel die
Schreiben, die das Drama dokumentieren, das auf die Einladung der
US-amerikanischen Konzeptkünstlerin Agnes Denes folgte: Die zögerte ihre
Anreise so lange hinaus, bis man beim DAAD des Taktierens müde war und sie
wieder auslud. In der Galerie am Körnerpark in Neukölln sind nun frühe
Werke aus dieser Zeit von ihr zu sehen, und man kann sich überlegen, was
Denes wohl in Berlin gemacht hätte, wäre sie jemals hier angekommen.
„If the Berlin Wind Blows My Flag. Kunst und Internationalisierung vor dem
Mauerfall“, bis zum 14. Januar 2024 in Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.),
daadgalerie und Galerie im Körnerpark, Informationen:
berliner-kuenstlerprogramm.de
20 Nov 2023
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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