| # taz.de -- Rockmusiker Udo Lindenberg: "Ich bin ein Trademark" | |
| > Ein Bildband zeigt die vergangenen vier Jahre Udo Lindenberg - | |
| > fotografiert von Tine Acke, seiner derzeitigen Freundin. Ein Gespräch | |
| > über würdiges Altern in Lindenbergs Zweitwohnsitz, der Raucherlounge des | |
| > Hotels Atlantic. | |
| Bild: Zwischen Notarzt und großer Bühne: Udo Lindenberg mit seiner Fotografin… | |
| Udo Lindenberg schleicht mit brennender Davidoff durchs qualmfreie | |
| Luxushotel Atlantic, seinem Erstwohnsitz, in Richtung Raucherlounge, seinem | |
| Zweitwohnsitz. | |
| Udo Lindenberg: Na, wir gehen jetzt mal schön ins Separee. | |
| taz: Gern - Herr Lin…? | |
| Ich bitte dich! | |
| Also - Udo. Du bist im Bildband gleich zu Beginn ohne Brille zu sehen. Ein | |
| Unfall? | |
| Nein, nein. Das Ding hat ja Tine gemacht und es ist ihr Lieblingsfoto von | |
| mir. Very personal. Eigentlich sollte das ja nur ein Geburtstagsheftchen | |
| werden für mich. Da meinte ich, das sind so geile Fotos, die dürfen wir der | |
| Öffentlichkeit nicht vorenthalten, die Blackbox der letzten vier Jahre | |
| meines Lebens, immer zwischen Notarzt und großer Bühne. | |
| Auch ein Abgesang? | |
| Nein, nur eine fotografische Zwischenbilanz. Ich habe noch viel vor. | |
| Nächstes Jahr erstmal MTV-unplugged, da checke ich gerade Lou Reed und es | |
| sieht ganz gut aus. Jan Delay ist natürlich auch dabei. | |
| Mit dem jungen Rapper bist du eng befreundet. | |
| Sehr. Wir sind ein echtes Team geworden, sind viel zusammen, tauschen uns | |
| aus, hören Demos, quaken uns voll, checken unsere Sounds. Der verändert | |
| sich ständig, das imponiert mir, hier Hip-Hop, da Disko, dann Soul. | |
| Gibts 2011 von dir auch eine Platte? | |
| Den Soundtrack meines Musicals, das im Frühjahr nach Berlin kommt. Aber ein | |
| ganz neues Album schaff ich erst in drei Jahren. Vorher brauche ich Zeit | |
| für Abenteuer, neue Eingebungen, weltweit. Es ist ja nicht so schwierig, | |
| Musik zusammenzustellen; das Themenfinden ist es. | |
| Politischere Themen als früher? | |
| Das wäre mein Plan. | |
| Ist das eine Frage des Alters? | |
| Ich war ja früher auch politisch. Straßenlieder, die DDR, wozu sind Kriege | |
| da, Waffenhandel, Atomkrieg aus Versehen, all so was. Aber nicht so sehr | |
| Tagespolitik und Barschel in der Badewanne. Doch jetzt freu ich mich | |
| erstmal über den Bildband. | |
| Udo drückt eine halbe Zitrone in seinen Tee. In manchen Momenten wirkt er | |
| erstaunlich klar, manchmal driften seine Gedanken ins Genuschel ab. Und nie | |
| ist wirklich sicher: Hat man einen Menschen vor sich oder ein Image? | |
| In dem Bildband bist du auf jedem Bild mit Hut und Brille zu sehen. Bist | |
| das du? | |
| Das bin schon ich. Ich gehe zwar nicht mit dem Hut ins Bett, aber mit ihm | |
| schwimmen. Ich hab eine tolle Frisur, nur dass der Scheitel immer höher | |
| rutscht. Der Hut steht mir seit 1980. Warum soll ich da jetzt noch was dran | |
| ändern? | |
| Und die Brille? | |
| Nicht ganz so lang, aber mit der sehe ich besser, vor allem in die Ferne. | |
| Außerdem ist es ein Schutzvisier, mein Schutzschild, weil ich den ganzen | |
| Tag observiert werde. Aber ich wollte ja immer, dass die Leute über den | |
| kleinen Jungen aus Gronau sagen, da geht der berühmte Udo L., der Macher | |
| aus der Provinz, der sein Ding regelt. Ich bin ein Trademark und das pflege | |
| ich. | |
| Man weiß gar nicht, wie du ohne aussiehst. | |
| Zum ersten Mal in 20 Minuten blickt Udo Lindenberg unter seiner tief | |
| sitzenden Hutkrempe hervor und dann lüftet er kurz seine Brille. Sind | |
| eigentlich ganz warme Augen und seit Ewigkeiten vor Lichteinfluss geschützt | |
| auch erstaunlich junge. Seine Freundin Tine Acke betritt die Raucherlounge. | |
| "Oh, da ist Tine", sagt Lindenberg. "Danke für das Buch!" | |
| Gibt es bei deinen Auftritten eine Konstante? | |
| Die eigene Sprache, die ich erst erfinden musste. Meine Shows sind auch die | |
| gleichen, felliniesk, würde ich mal sagen, mit vielen Darstellern, viel | |
| Wirkung. Vor mir gab es im deutschen Rock ja nur Rio Reiser, "Macht kaputt | |
| was euch kaputt macht", sehr wichtig für mich, für alle. | |
| Und ungeheuer politisch. | |
| Ernst vor allem. Dem wollte ich eine Partyband gegenüberstellen und alles | |
| auf den Kopf stellen mit Udo ohne Hut, ein good looking man, das kam an. | |
| Bis Mitte der Neunziger wenigstens. | |
| Da hatte ich eine künstlerische Krise. Die Sinnkrise nicht zu wissen, wie | |
| man den Schritt vom Jugendidol zum würdevollen Rockchansonnier hinkriegt. | |
| Das haben nur wenige geschafft, McCartney, Dylan, David Bowie, solche | |
| Kaliber. Ich zuerst nicht. Anfang der Neunziger dachte ich, jetzt ist alles | |
| vorbei, mein Lebenswerk ist over. | |
| Also Ruhestand. | |
| Ich hatte jedenfalls große Zweifel. Dazu Notarzt, Kliniken, zu viel | |
| Alkohol, der ganze Scheiß. Dann hab ich gemerkt: Das schaffst du nur, wenn | |
| du fit bist. Viel Sport, kein Saufen, lieber andere Drogen, sonst kriegst | |
| du die Kurve nicht. | |
| Das Ende der Kurve war "Stark wie zwei" 2008, dein erstes Nr.-1-Album. Hat | |
| dich der Erfolg überrascht? | |
| Schon. Und alles dokumentiert im Bildband. Ich sehe das als eine Hommage an | |
| die Freundschaft zu all den Leuten, die mir dabei geholfen haben. | |
| Was finden junge Leute wie Jan Delay oder deine Freundin Tine an einem wie | |
| dir? | |
| Die Sprache. Jan hat mir erzählt, als kleines Kind lief ich im Autoradio | |
| seiner Eltern und er war wie elektrisiert. Daran hat er sich später | |
| erinnert und gemerkt, dass man gute Sachen auch auf Deutsch singen kann. | |
| Kein Rilke, Hesse, NDW, sondern Umgangssprache, die sich nach einer langen | |
| Phase der deutschen Sprachlosigkeit, all dem Nazischeiß und Schlagerdreck, | |
| erst neu bilden musste in der Musik. Da war ich ausersehen, mittlerweile | |
| singen alle deutsch wie der Alte. | |
| "Der Greis ist heiß", steht im Buch. | |
| Das ist eine Persiflage auf Gleichaltrige, die im Sterbeflanell rumlaufen | |
| und Kindern Angst vorm Alter machen. | |
| Fühlst du dich denn alt? | |
| Manchmal, wenn ich meine Glieder strecke. Innerlich bin ich zeitlos. | |
| Aber 100 wirst du nicht? | |
| Ich sage immer, wenn grad keine Freunde zuhören (flüstert): noch zehn, | |
| vielleicht 15 Jahre. | |
| Trinken tust du nicht mehr. | |
| Früher dauernd, heute gezielt. | |
| Früher, sagt er, hätte hier eine Flasche Whisky gestanden, jetzt | |
| verschüttet er bei jedem Griff zur Tasse Tee. Lindenberg wirkt fahrig für | |
| einen Berufsjugendlichen, aber fit für einen Mann Mitte Sechzig. Er zieht | |
| an seiner Zigarre, die längst erloschen ist. | |
| Wirst du noch mal sesshaft, mit eigener Wohnung oder Häuschen im Grünen? | |
| Niemals. Ich bleibe in Hotels, ich liebe die Anonymität, die | |
| Unverbindlichkeit. Zurzeit fahre ich gern Schiff. MS Deutschland, Queen | |
| Mary. | |
| Überall mit Brille und Hut? | |
| Unbedingt. Abenteurer brauchen Schutzschilder. Aber vielleicht wechsel ich | |
| irgendwann mal meine Frisur. | |
| 11 Oct 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Freitag | |
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| Udo Lindenberg | |
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