| # taz.de -- Ende des völkischen Treibens | |
| > Innenministerin Faeser verbietet die rechtsextreme Artgemeinschaft. Diese | |
| > pflegte germanische Bräuche und NS-Rassenwahn – und hielt Kontakte ins | |
| > NSU-Umfeld | |
| Bild: Razzia im Harz: Die Polizei hat am Mittwoch das Ausflugs- und Ferienhotel… | |
| Von Andrea Röpke, Konrad Litschko und Andreas Speit | |
| Es ist eine Herberge im kleinen Ilfeld im Thüringer Südharz, das Gasthaus | |
| Hufhaus, wo sich seit Jahren regelmäßig krude Szenen abspielten. Männer in | |
| traditionellen Hemden und Frauen in Gewändern trafen sich dort zu Treffen | |
| am „Metkessel“ – die „Gemeinschaftstage“ der völkischen Artgemeinsch… | |
| Dann gab es „Volkstänze“, „germanischen Sechskampf“ oder „Mitmachkur… | |
| Runenmagie“. In Vorträgen wird aber auch zu sozialdarwinistischer und | |
| antisemitischer Ideologie doziert. Und immer mittendrin befinden sich die | |
| Kinder der Artgemeinschaftler. | |
| Nun soll damit Schluss sein. Am frühen Mittwochmorgen ließ | |
| Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die rechtsextreme „Artgemeinschaft | |
| – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ | |
| verbieten. In 12 Bundesländern rückte die Polizei aus und durchsuchte die | |
| Wohnungen von 39 Beschuldigten. Gefunden wurden dabei auch rechtsextreme | |
| Devotionalien, Gold, Schusswaffen und eine ABC-Schutzausrüstung. Laut | |
| Ministerium wurden auch waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Faeser, die | |
| momentan auch SPD-Spitzenkandidatin zur Hessenwahl ist, sprach von einer | |
| „sektenartigen, zutiefst rassistischen und antisemitischen Vereinigung“. | |
| Die Artgemeinschaft sei breit in der rechtsextremen Szene vernetzt und habe | |
| versucht, durch „eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und | |
| Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen“. Ein Jahr lang hatte | |
| Faesers Ministerium das Verbot vorbereitet. | |
| Es ist ein Schlag gegen eine Szene, die auch von Sicherheitsbehörden lange | |
| unbeachtet blieb: das rechtsextreme Siedlungsspektrum. Über Jahre konnten | |
| sich Gruppen wie die Artamanen, die Anastasia-Bewegung oder Weda Elysia in | |
| ländlichen Räumen ausbreiten, Höfe übernehmen und völkische Bräuche | |
| pflegen. Auch Treffen der Artgemeinschaft blieben von der Polizei fast | |
| immer unangetastet. Nun aber setzt Faeser ein Zeichen – nur eine Woche | |
| nachdem sie bereits die rechtsextremen Hammerskins verbot. | |
| Die Artgemeinschaft setzte indes weniger auf Siedlungsprojekte denn auf | |
| Ideologiefestung nach innen. Im völkischen Spektrum ist sie damit | |
| bundesweit die größte neonazistische Vereinigung – und die älteste. Und | |
| schon 1951 gründete Alt-Nazi Wilhelm Kusserow eine Vorläuferorganisation, | |
| seit 1957 ist die Artgemeinschaft in Berlin als Verein eingetragen. | |
| Ab 1989 führte und prägte die Artgemeinschaft jahrelang der | |
| Rechtsextremist, NPD-Bundesvorstand und Szeneanwalt Jürgen Rieger, der 2009 | |
| verstarb. Er schrieb auch das „Sittengesetz“ der Gemeinschaft, in dem eine | |
| „Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, | |
| Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischen Glauben“ gepredigt | |
| wird. Die Gruppe verstand er als „Kampfverband“ und lehnte sie ideologisch | |
| an die NS-Rassenlehre an. So heißt es im „Artbekenntnis“, die | |
| „Menschenarten“ seien „verschieden in Gestalt und Wesen“. Ziel sei die | |
| „Mehrung der germanischen Art“, auch mit „gleichgearteter Gattenwahl“ u… | |
| dem Ziel „gleichgearteter Kinder“. Rieger selbst bezog die Artgemeinschaft | |
| einmal auf die „nordisch-fälische Rassengemeinschaft, als nur einen Teil | |
| der gesamten Menschenheit, und zwar den Teil, dem wir enger zugehören“. | |
| Ein Fokus lag auf der Nachwuchsgewinnung. So erhielten Familien ein | |
| „Geburtsgeld“ oder einen „Familienlastenausgleich“. Abtreibungen sollte… | |
| verhindert und kinderreiche Familien befördert werden. Kinderlose | |
| Mitglieder mussten 100 Euro zusätzlich im Jahr entrichten. Für „die | |
| jüngsten Gefährten“ wurden derweil gezielt Kinderbücher aufgelegt, mit | |
| rassistischen oder antisemitischen Inhalten und Titeln wie „Die Bazillen“. | |
| Noch zu Riegers 10. Todestag veranstaltete die Artgemeinschaft eine | |
| „Morgenfeier“. Und noch bis Dienstag bewarb sie fast täglich auf internen | |
| Messenger-Kanälen Bücher von Rieger oder andere Werke wie „Deutsche | |
| Tischsprüche für die Sippe“. Gepflegt wurde auch eine eigene Zeitrechnung �… | |
| „n. St.“, nach Stohnehenge. Denn: Man wolle nicht die „Zählung der Jahre | |
| nach einem uns aufgezwungenen Juden namens Christus hinnehmen“. | |
| Das Innenministerium wirft der Gruppe laut der 92-seitigen Verbotsverfügung | |
| Verstöße gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ vor. Zugerechnet werden … | |
| Artgemeinschaft rund 150 Mitglieder, im Kern sollen es rund 40 gewesen | |
| sein. Zu Veranstaltungen wie den regelmäßigen Sommersonnenwenden, oder | |
| Julfeiern kamen indes auch mal bis zu 350 Teilnehmende. Wer der | |
| Gemeinschaft beitreten wollte, musste dafür monatlich ein Prozent seines | |
| Netto-Einkommens zahlten, mindestens aber 80 Euro im Jahr. Verpflichtend | |
| war auch ein eintägiger Arbeitseinsatz im Jahr. Sie erhielten auch die | |
| gruppeneigene „Nordische Zeitung“. | |
| Die Öffentlichkeit suchte die Gruppe nicht, im Gegenteil. Ihr Tun versuchte | |
| sie meist im Verborgenen zu organisieren – wohl auch, weil sie schon länger | |
| ein Verbot befürchtete. Einladungen zu ihren Treffen gingen nur über | |
| interne Kanäle an Mitglieder. Vor Ort waren Fotos und Filmaufnahmen | |
| untersagt, betont wurde, dass es „keine Spaßveranstaltungen“ seien. | |
| Zusammen kam dann auch der „Gemeinschaftsrat“. | |
| Für einzelne Regionen gab es dann „Quartierswarte“ und „Gefährtschaften… | |
| mit klingenden Namen wie „Nordmark“ oder „Kurpfalz“, die mindestens neun | |
| Mitglieder bedurften. Darunter gab es „Freundeskreise“, etwa „Jomsgau“ … | |
| „Wittekindsland“. | |
| Die Artgemeinschaft traf sich aber auch anderswo, etwa zu | |
| „Frauen-Wander-Wochenenden“ auf Usedom und Hessen oder zum 70-jährigen | |
| Jubiläum der Gruppe etwa in Berlin-Lichterfelde, vor dem früheren Wohnhaus | |
| des Artgemeinschaft-Gründers Kusserow. Nach eigenen Auskünften wurden auch | |
| Kontakte zu skandinavischen, französischen oder italienischen | |
| Rechtsextremisten gepflegt. | |
| Zuletzt war der frühere NPD-Aktivist Jens Bauer aus Sachsen-Anhalt länger | |
| Anführer der Artgemeinschaft. Der trat zuletzt auch bei Coronaprotesten | |
| oder beim rechtsextremen „Trauermarsch“ in Dresden auf und gilt als | |
| Vertrauter des NSU-Waffenlieferanten Ralf Wohlleben. Diesen soll er nach | |
| seiner Haftentlassung 2018 zwischenzeitlich bei sich aufgenommen haben. | |
| Auch der NSU-Helfer André Eminger soll zumindest ein Treffen der | |
| Artgemeinschaft besucht haben. Schon im Herbst 2021 soll Bauer dann die | |
| Führung der Artgemeinschaft an seine Stellvertreterin Sabrina S. abgegeben | |
| haben. Im Vereinsregister wurde dies erst im Juni nachgetragen. Auch das | |
| Haus von Sabrina S., ein ehemaliges Brauereigelände im bayrischen Hausen, | |
| wurde am Mittwoch durchsucht. | |
| Jens Bauer soll allerdings weiter Vorsitzender des Vereins „Familienwerks“ | |
| gewesen sein – in dem ebenfalls alle Artgemeinschaftler Mitglied werden | |
| sollten. Auch das „Familienwerk“ wurde am Mittwoch verboten. Als zentraler | |
| Akteur gilt auch Alexander D. aus Baden-Württemberg, der ebenfalls | |
| durchsucht wurde und Kontakte zur militanten Szene hält, etwa zu dem | |
| verurteilten Rechtsterroristen Martin Wiese. Auch im sächsischen Leisnig | |
| wurden gleich mehrere Höfe von Mitgliedern durchsucht, die zuvor bereits in | |
| der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ aktiv waren und in Sachsen | |
| angesiedelt waren. | |
| Zu den Sympathisanten der Artgemeinschaft soll vor Jahren auch der | |
| Lübcke-Mörder Stephan Ernst gezählt haben. Laut Sicherheitsbehörden stand | |
| er auf einer Liste, die Mitglieder und Förderer aufführte, und soll dort | |
| 2011 gestrichen worden sein, weil er seine Mitgliedsbeiträge nicht mehr | |
| bezahlt habe. Mitverboten sind nun auch verschiedene Teilorganisationen der | |
| Artgemeinschaft wie das „Familienwerk“ und die „Gefährtschaften.“ | |
| Die Artgemeinschaft ist damit nur ein Projekt von mehreren in der | |
| völkischen Siedlungsbewegung. Wie viele Personen sich dort tummeln, lässt | |
| sich schwer bemessen – obwohl Journalist*innen und Expert*innen | |
| schon lange warnen, schauen die Sicherheitsbehörden erst seit Kurzem | |
| genauer hin. So stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz erst im Juni die | |
| Anastasia-Bewegung als extremistischen Verdachtsfall ein. Und warnte: Die | |
| Gruppe könnte auch „Personen radikalisieren, die zuvor nicht in | |
| extremistischen Zusammenschlüssen aktiv waren“. Erst vor einer Woche hatte | |
| Faeser die rechtsextremen Hammerskins verboten, die vor allem mit | |
| Rechtsrockkonzerten Gelder machten. Auch diese sahen sich als Szeneelite | |
| und waren rund 30 Jahre aktiv. Die Innenministerin hatte zu Amtsbeginn | |
| angekündigt, rechtsextreme Netzwerke zu „zerschlagen“. | |
| Die jüngsten Verbote zeigten jedenfalls Wirkung. Noch am Mittwoch | |
| verkündeten die „Arische Bruderschaft“ und die „Brigade 12“ vorauseile… | |
| ihre Auflösung. Bei der Artgemeinschaft stellt sich die Frage, ob die | |
| Mitglieder gewarnt gewesen sein könnten. So datiert das Verbot schon auf | |
| den 4. August – vollstreckt wurde es aber erst jetzt. Zudem ist auf die | |
| Adresse von Sabrina S. bereits ein neuer Verein gemeldet – das | |
| „Stiftungswerk Zukunft – Heimat“. Der postuliert „Brauchtumspflege, | |
| Heimatkunde, Familienförderung“. Es klingt ganz wie bei der | |
| Artgemeinschaft. | |
| 28 Sep 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| Andreas Speit | |
| Andrea Röpke | |
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