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# taz.de -- Ein Wesen zwischen den Welten
> Die Videos von Simon(e) Jaikiriuma Paetau in der Berlinischen Galerie
> bieten neue Perspektiven auf Queerness und das Anderssein
Bild: Simon(e) Jaikiriuma Paetau & Nadia Granados: „Mojana“, 2021, Film Sti…
Von Kajo Roscher
Panisch blicken weit aufgerissene schwarze Augen von der großen Leinwand im
Videoraum der Berlinischen Galerie. Simon(e) Jaikiriuma Paetau,
Künstler*in und Protagonist*in kreischt und faucht. Sein*ihr Körper
windet und dreht sich schmerzvoll und gleichzeitig doch elegant. Lange
Spuckefäden tropfen langsam aus dem geöffneten Mund. In regelmäßigen
Abständen tauchen Zeichnungen von monsterähnlichen Kreaturen auf
seinem*ihrem Gesicht auf. Die Zeichnungen gleiten dann langsam den fast
nackten Körper hinab und verblassen wieder.
„Es geht um die Projektion der Mehrheitsgesellschaft auf meinen queeren
Körper“, sagt [1][Simon(e) Jaikiriuma Paetau] über „Mourning Stage“. Das
ist eine von drei Filmarbeiten, die noch bis zum 16. Oktober in der
Berlinischen Galerie in Berlin zu sehen sind. „Es geht darum, dass ich mich
ständig mit auf mich projizierten Ängsten auseinandersetzen muss, die gar
nicht meine sind.“ Zentrales Thema der Installation sind dekoloniale
Perspektiven auf Queerness. „Aribada“ erzählt die Geschichte indigener
trans* Frauen in Kolumbien. In einer Kombination aus Dokumentation und
Fiktion werden intime Gespräche zwischen den Frauen gezeigt. Sie erzählen
von Problemen, die sie aufgrund ihres trans*-Seins erfahren. Ein Eindruck
von Hoffnungslosigkeit entsteht jedoch nicht. Beieinandersitzend scheinen
sie sich gegenseitig aufzufangen. Das sei einer der Gründe, warum Kuratorin
Anne Bitterwolf die Arbeiten ausgewählt hat, erzählt sie. Sie erzählen „von
Leid, ohne dem Subjekt seine Handlungsfähigkeit zu nehmen und es zum Objekt
zu machen“, sagt die Kuratorin.
In der Filmarbeit “Mojana“ greift Paetau, aufgewachsen zwischen Deutschland
und Kolumbien, einen kolumbianischen Mythos auf. Es ist die Geschichte
eines verführerischen, männerfressenden Meerjungfrauenmonsters. In der
Originalfassung des Mythos, die aus männlicher Perspektive erzählt wird,
wird das Meermonster für ihre sexuelle Anziehung bestraft. Ihr werden
brutal die Augen ausgestochen. Über die Figur der Mojana sagt Paetau: „Für
mich ist sie eine Metapher einer nichtbinären, einer transfemininen Person,
die dafür bestraft wird, dass sie bei Männern Verunsicherung auslöst.“
Paetau war es wichtig, die Geschichte aus der Perspektive der Mojana
wiederzuerzählen, als Identifikationsfigur auch für sich selbst: „nicht
Mensch, nicht Tier, ein Wesen zwischen den Welten“.
Auch in „Mojana“ ist Paetau die Protagonist*in, steht fast nackt in der
Mitte einer vielbefahrenen Straße. Vor den grauen Autos wirkt die stark
geschminkte Person wie ein Fremdkörper. Er*sie ist kaum bekleidet und
wirkt schutzlos und angreifbar. Doch dann beginnt er*sie zu tanzen und die
pink geschminkten Lippen öffnen sich zu einem großen Lachen. Auf einmal
wirkt Paetau stark und widerständig, macht mit den fahrenden Autos im
Hintergrund Selfies, Zuschauer*innen lachen. Die Figur zelebriere ihr
Anderssein: „Oft wird uns gesagt, [2][wir queeren Menschen] seien ja gar
nicht so anders, aber das sind wir. Und das ist gut so. Es geht um eine
Verteidigung der Andersartigkeit.“ Doch im Film wird deutlich, dass das
Zelebrieren des Andersseins eng mit der Angst vor Gewalt verbunden ist. In
einem Moment noch tanzt Paetau, läuft dann aber im nächsten im Dunkeln,
alleine, immer noch fast nackt neben der Straße, dreht sich immer wieder
ängstlich um und wischt sich die Regentropfen aus den Augen, geht hastig,
fast gebückt. Die empfundene Angst wird sehr greifbar. Zwei weiblich
gelesene Personen im Zuschauersaal drehen sich zueinander und nicken sich
kurz wissend zu. „Das kennt man ja“, sagt eine der beiden in leisem Ton.
Simon(e) Jaikiriuma Paetau: Berlinische Galerie. Bis 16. Oktober
28 Aug 2023
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## AUTOREN
Kajo Roscher
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