# taz.de -- Robinsonade in Bonbonfarben | |
> Die Retrospektive „Fantasiefabrik“ der österreichisch-schweizerischen | |
> Künstlerin Elisabeth Wild (1922–2020) im Museum für Moderne Kunst Wien | |
> wird ihrem Gegenstand leider nicht auf allen Ebenen gerecht | |
Bild: Eine von Elisabeth Wilds Collagen, 2018 | |
Von Hans-Jürgen Hafner | |
Zu den populären Mythen der Kunst gehört, dass gute Kunst mit einem | |
besonderen Leben zusammenhängen müsse. Und, dass sich wahres Talent immer | |
irgendwann durchsetzt – und sei es noch so spät. Beides steckt in der | |
Ausstellung „Fantasiefabrik“ über Elisabeth Wild im Museum Moderner Kunst | |
in Wien. | |
Wild führte durchaus ein abenteuerliches Leben. 1922 in Wien geboren, | |
emigrierte sie 1938 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten mit ihren | |
Eltern nach Buenos Aires. Das südamerikanische Land verließ sie, inzwischen | |
mit einem Schweizer Textilunternehmer verheiratet, 1962 aus Furcht vor | |
diktatorisch regierenden Militärs, um nach Basel überzusiedeln. Dort | |
betrieb Wild einen Antiquitätenladen bis sie 1996 nach Panajachel, | |
Guatemala, zu ihrer Tochter zog. Zur Geschichte gehört auch, dass Wilds | |
Tochter die Künstlerin Vivian Suter ist, berühmt für atmosphärische | |
Malerei-Interieurs. Leinwände bemalt sie oft in Erdfarben mit archaischer | |
Geste und hängt sie wie Meterware dicht von der Decke. Suter lebt und | |
arbeitet seit 1983 in Panajachel auf einer früheren Kaffeeplantage. Dort | |
wohnten Mutter und Tochter Tür an Tür, bis Wild 2020 über den | |
Vorbereitungen zur Schau in Wien verstarb. „Fantasiefabrik“ wird so zur | |
posthumen Ehrung. Zufall, dass ihre Tochter Vivian Suter bis Juni eine | |
große Ausstellung um die Ecke in der Secession zeigte? Seit die Werke | |
beider Frauen 2017 so prominent auf der [1][von Adam Szymczyk kuratierten | |
documenta 14] miteinander kombiniert wurden, widmeten ihnen mehrere Museen | |
auch eine Ausstellung. Beide werden zudem von der erfolgreichen Züricher | |
Galerie Karma International vertreten. | |
Für die Retrospektive von Elisabeth Wild setzt Kuratorin Marianne Dobner | |
nun auf Exotisierung. Da ist eine labyrinthische Ausstellungsarchitektur | |
aus unregelmäßig gerundeten Papp-Paneelen in tropentauglichen Bonbonfarben. | |
Daran hängen Dutzende zu Pattern arrangierte Collagen, sogenannte | |
„Fantasias“. Wild hat die DIN-A4-großen, ornamentalen Kompositionen | |
jahrelang aus Magazinausschnitten zusammengefügt. Rückschlüsse auf eine | |
ästhetische Entwicklung, formale Höhen und thematische Tiefen zwischen den | |
Arbeiten lassen die 365 für die Schau eingesammelten Stücke schon aufgrund | |
der Hängung nicht zu. Es geht sichtlich nicht um einzelne Bilder. Es geht | |
um den statistischen Nachweis einer Lebensleistung. | |
Dann ist da eine Urwald-Laube in einer Kulisse aus dichter | |
Dschungelvegetation. Wilds Haus in Panajachel wurde hier aus brauner Pappe | |
in Originalgröße nachgebaut und ein Stück Mittelamerika als Fototapete nach | |
Wien gebracht – selbst der Hund fehlt nicht. Das Häuschen ist mit | |
Pappmöbeln sparsam möbliert: Bett, Sessel, Tisch, Schrank. Dazu gibt es | |
floral bedruckte bunte Teppiche, Decken, Bezüge. So ähnlich mag Wild in der | |
Fremde gelebt haben: bescheiden, aber schön. | |
## Surreal eingefärbt | |
Die Museumswände sind mit Bildern vollgehängt. Porträts, Akte, Stillleben, | |
alle undatiert. Wenn der Pressetext zur Schau von einem „Ritt durch die | |
Kunstgeschichte“ spricht, meint er damit Elisabeth Wilds akademisch eher | |
konventionelle künstlerische Versuche in Zeichnung und Malerei, dazu ein | |
paar surreal eingefärbte Sujets. | |
Zum Ausstellungsformat einer „Retrospektive“ gehört, das „Frühwerk“ a… | |
Beleg für Talent, Zeichen künftiger künstlerischer Größe zu exponieren. | |
Wild hat ihre malerischen Experimente aber offenbar nicht weiter vertieft. | |
Und auch ihre bunten Textilentwürfe, vielleicht aus den 1950er Jahren, | |
gehen nicht weiter in die Tiefe. Dazu zeigt Marianne Dobner kommentarlos | |
kunstfreie Memorabilia: private Fotos, gerahmte Werbeaussendungen des | |
Baseler Antiquitätenladens – und der Blick auf die Dschungeltapete. Man | |
wird in dieser Ausstellung das Gefühl nicht los, dass hier ein Leben zur | |
Kunst hochmusealisiert wird. Und dazu gehört wohl auch, es zu exotisieren, | |
die 2020 verstorbene Elisabeth Wild in einer Art musealen Robinsonade zu | |
besingen. | |
„Elisabeth Wild. Fantasiefabrik“: Museum Moderne Kunst Stiftung Ludwig | |
Wien. Bis 7. Januar 2024 | |
1 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Hans-Jürgen Hafner | |
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