# taz.de -- kritisch gesehen: Jimetta Rose und ihr Gospelchor verzweifeln am Kl… | |
Tokio Hotel sind damit vertraut, die Hamburger von Die Sterne, Techno-DJs | |
ohnehin: Pop-Konzerte in Kirchen sind nichts Ungewöhnliches. Die Stimmung | |
mag andächtiger sein, der Soundmix schwieriger, aber Bands wie Publikum | |
schätzen die Abwechslung. Und warum sollte auch bloß Orgel- und Vokalmusik | |
in Gotteshäusern dargeboten werden? Die Antwort muss zuweilen lauten: weil | |
sie dafür gebaut wurden. Zumindest die St.-Gertrud-Kirche in | |
Hamburg-Uhlenhorst sollte fortan vielleicht darauf verzichten, Pop zu | |
veranstalten. | |
Aber von Anfang an: Es ist kurz nach neun am Freitagabend, als zwei Typen | |
mit Sonnenbrillen und Hoodie respektive Mütze den Mittelgang von St. | |
Gertrud entlanggeschlurft kommen. Coolness überall. Die zwei kommen aus | |
Kalifornien, keine Frage. Der Mann im Hoodie streckt die Hände zum Himmel | |
und faltet sie. Während man sich fragt, ob das noch Stretching oder schon | |
Lobpreisung ist, spielt ein anderer perlende Orgel-Licks am Keyboard – | |
Hammond-Orgel, wohlgemerkt. Auftritt: Voices of Creation. Das vielköpfige | |
Vokal-Ensemble besteht nicht aus Profis, was in einer Musik-Metropole wie | |
Los Angeles rein gar nichts heißt. Außer vielleicht, dass die Beteiligten | |
mehr Freude ausstrahlen. Und die acht Frauen und zwei Männer, die nun | |
singend Richtung Altar schreiten, haben genug Charisma für drei Kirchen. | |
Die Sängerin und Komponistin Jimetta Rose leitet den Community-Chor seit | |
einigen Jahren, sie führt mit Verve, Hüftschwung und buntem Fächer durch | |
den Abend. Jimetta Rose and the Voices of Creation singen Gospel, diese | |
schwitzende, enthusiastische Urform des Blues und sie machen es | |
fantastisch. Es gibt Call-and-Response-Gesänge, kurze Raps und | |
Black-Power-Fäuste, garniert mit Solo-Gesängen. „Can you feel the spirits | |
up above?“, fragen die zehn mit funkelnden Blicken, und wie gern würde man | |
ihnen ein „Yes!“ entgegnen, aber ach: Man versteht den Chor ja kaum. Die | |
Akustik in der Kirche ist so mies, dass der Mann am Mischpult kaum zum | |
Arbeiten kommt, nimmt er doch im Minutentakt die Beschwerden von | |
Zuschauer*innen entgegen. | |
Ob es ohne Mikrofone besser geklungen hätte, bleibt zweifelhaft. Im | |
Hallraum der Kirche verschwindet jede Nuance, die Stimmen sind kaum zu | |
unterscheiden, die Ansagen von Rose unverständlich. Die Voices machen | |
tapfer lächelnd weiter, langer Applaus ist ihnen sicher. | |
„Wie viel Rock ’n’ Roll verträgt die Kirche?“, fragte einmal der | |
Tagesspiegel. Die Antwort ist klar: „Jede Menge, wenn der Sound stimmt.“ | |
Gospel-Konzerte sollte das Kampnagel-Sommerfestival jedenfalls beim | |
nächsten Mal in seinem hübschen Garten veranstalten. Und wenn dort | |
Anwohnende ob des Lärms mosern? Sollen sie sich doch beim „Holy Spirit“ | |
beschweren. | |
Jan Paersch | |
21 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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