# taz.de -- berliner szenen: Eine unliebsame Erinnerung | |
Das ist mir noch nie aufgefallen“, meint eine Freundin und zeigt auf ein | |
Hotel. „Der Ausblick von der Terrasse ist sicher gut.“ Ich schneide eine | |
Grimasse und erkläre: „Ich war da mal unfreiwillig.“ Bei dem Gedanken an | |
den Tag in einer Zeit, in der das Bürgergeld noch Hartz 4 hieß und ich beim | |
Jobcenter mein unter dem Existenzminimum liegendes Elterngeld aufstocken | |
musste, kommt mir das Frösteln. | |
Die Sachbearbeiterin fand trotz aller Schreibaufträge, die ich neben der | |
Pflege meiner gerade einmal einjährigen Tochter annahm nicht, dass sie eine | |
junge Mutter in Ruhe lassen sollte: „Ich könnte sie auch in eine Fabrik | |
schicken“, meinte sie einmal. Und setzte nach: „Mein Sohn war schon mit | |
sechs Monaten in der Krippe.“ Bei einem anderen meiner gefürchteten Termine | |
hielt sie mir eine Visitenkarte hin: „Hat ein Kunde dagelassen. Den sollten | |
Sie mal treffen. Der hat eine Geschäftsidee und kann Werbung brauchen. Und | |
schreiben können Sie doch.“ Ich verstand nicht gleich. Sie aber griff | |
bereits zum Hörer, rief ihn an, erklärte, sie habe wen bei sich, den er | |
kennenlernen müsse, verabredete uns miteinander und verabschiedete mich | |
angestrengt lächelnd mit den Worten: „Dafür putzen Sie sich dann aber mal | |
raus! Mit Kleidchen und Schminke und so. Sonst wird das nichts.“ Sie | |
deutete auf meine Jeans. | |
Mir war mulmig. Doch aus Angst vor Sanktionen stimmte ich zu, den Mann auf | |
der Terrasse eben jenes Glasgebäudes auf einen Kaffee zu treffen. Er kam im | |
Anzug und erzählte eine Stunde lang etwas über ein Medikament, das er auf | |
den Markt bringen wolle. Beim Abschied meinte er: „Ich weiß nicht, wie wir | |
zusammenkommen.“ Und fügte hinzu: „Aber nett sind Sie. Wir können uns ger… | |
privat nochmal treffen. Dass das Jobcenter Dates vermittelt, ist doch was.“ | |
Eva-Lena Lörzer | |
2 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Eva-Lena Lörzer | |
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