# taz.de -- das wird: Kein hohlköpfiger Fahnenschwenker | |
> Überraschend cool und wütend klang Bruce Springsteen 1993 im väterlichen | |
> Audi. Nun spielt der „Boss“ zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder in | |
> Hamburg | |
Von Jan Paersch | |
Zwölf Jahre alt war ich und mochte Gitarrenmusik. Nicht das, was 1993 cool | |
war, sondern: Stones, Zeppelin, Hendrix. Und dann tauchte diese Kassette im | |
grauen Audi meines Vaters auf, im Handschuhfach. Auf dem Cover ist ein Typ | |
zu sehen, besser gesagt: ein Hinterteil in leicht mitgenommenen Bluejeans. | |
Nicht wirklich eine Offenbarung für einen angehenden Teenager, selbst für | |
einen, der statt Kurt Cobains Mittelfinger lieber den blondgelockten Robert | |
Plant von Led Zeppelin als Poster an der Wand hängen hatte. Der alte Audi | |
wurde bis hin zu den Aussparungen im Reserverad vollgepackt, es ging in den | |
Dänemark-Urlaub, ich schob die Kassette in das Autoradio. | |
Meine Liebe galt warmen Gitarren und Blues, aber das war cool: ein | |
Synthesizer-Riff, kombiniert mit einer unbarmherzig geprügelten Snare Drum. | |
Und dann diese bellende Stimme: „Born down in a dead man’s town/The first | |
kick I took was when I hit the ground“. | |
Ein Knaller, gleich zu Beginn von „Born in the U.S.A.“, dem Album. Bruce | |
Springsteen war der Sänger, und dass er mit dem Song gleichen Namens | |
jemanden anklagte und nicht einfach sein Heimatland abfeierte, war mir | |
schon damals klar (nur Ronald Reagan nicht). Wer so wütend klingt, kann | |
kein hohlköpfiger Fahnenschwenker sein. | |
Ich mochte das Album, hörte aber fast nur die A-Seite, und stoppte das Tape | |
meist vor der Ballade „I’m on Fire“, die meinem präadoleszenten Ich Angst | |
machte (Intime Gefühle? Gar Sex? Bloß nicht!). Erst Jahre später entdeckte | |
ich, was mir auf der B-Seite entgangen war. Da war „Glory Days“ – auf ein | |
„Wow!“ vom Boss folgen vier Minuten herrlich schlichter | |
Rumgröl-Rock-’n’-Roll mit Honky-Tonk-Klavier. Springsteen, damals | |
jugendliche 35, erinnert sich an seine Highschool-Zeit, an Baseball und an | |
das Zwinkern in den Augen der jungen Frauen. Mehr Nostalgie: kaum denkbar. | |
## Gigantisch herausgepresste Melancholie | |
Wenn man dem Künstler heute zuhört, in seinem Podcast mit Barack Obama oder | |
in der berührenden Dokumentation „Springsteen on Broadway“, dann scheint | |
es, als beginne er jeden zweiten Satz mit „When I was young“ oder „Back in | |
High School“. Aber Springsteen, der schlaue Denim-Träger, hat die eigene | |
Sentimentalität schon Anfang der Achtziger vorausgeahnt. In „Glory Days“ | |
singt er, er hoffe, dass er im Alter nicht rumsitze und an die glorreichen | |
Zeiten denke, „but I probably will“. | |
Der Über-Hit auf „Born in the U.S.A.“ ist natürlich „Dancing in the Dar… | |
Ein Beat, der nach Drum Machine klingt, aber tatsächlich vom präzisen | |
Schlagzeuger Max Weinberg stammt. Dann wieder so ein Synthie-Riff für die | |
Ewigkeit; mich hat es schon tagelang beim Fahrradfahren begleitet. Der Text | |
beinhaltet die Selbstzweifel eines Mannes kurz vorm Superstar-Dasein. Und | |
geht’s im Refrain um Sex? Einerlei, denn hier ist der Vortrag entscheidend. | |
Die in Melancholie getauchte Euphorie, mit der Springsteen „Feelin’ the | |
same way“ herauspresst – gigantisch. | |
Im großartigen Musikvideo wirft ein konzertierender Boss exakt beim finalen | |
„Hey Baby“ einer Dame im Zuschauerraum sein schönstes Lächeln zu – und | |
tanzt mit ihr. Wenn nun Bruce Springsteen am Samstag zum ersten Mal seit | |
2008 wieder mit seiner treuen E Street Band in Hamburg spielt, dann ist | |
auch diese Nahbarkeit ein Grund für seine Beliebtheit. Max Weinberg prügelt | |
die Snare Drum, ein jugendlicher 73-Jähriger flirtet mit den 50.000 – und | |
jeder hofft, auf der Bühne mit Springsteen tanzen zu dürfen. | |
13 Jul 2023 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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