# taz.de -- Berlin verkleinert den Spielraum für Bleiberecht | |
> Geflohen sind sie vor demselben Krieg, aber internationale Studierende | |
> haben hier weniger Rechte als Ukrainer*innen. Nun drohen auch aus Berlin | |
> erste Abschiebungen | |
Bild: Frühjahr 2022: Ein Student aus der Elfenbeinküste wartet nach seiner Fl… | |
Von Susanne Memarnia | |
Unter den Drittstaatler*innen aus der Ukraine geht die Angst um: Die | |
ersten internationalen Studierenden, die vor dem Krieg nach Deutschland | |
geflohen sind, wurden aus Hamburg und München abgeschoben, berichtet | |
Juliane Gebel von der Inititative BIPoC Ukraine and Friends der taz. Auch | |
in Berlin, wo im vorigen Jahr der damals noch rot-grün-rote Senat | |
zusicherte, für diese Gruppe von Kriegsflüchtlingen eine großzügige | |
Bleiberechtsregelung zu finden, haben einige Studierende vom Landesamt für | |
Einwanderung (LEA) eine Ausreiseaufforderung bekommen. | |
Unterstützer*innen wie Vicky Germain von der Initiative CommUnities | |
Support for BIPoC Refugee from Ukraine (CUSBU) befürchten, dass schon bald | |
Hunderte Kriegsflüchtlinge betroffen sein könnten. Bis vor wenigen Monaten | |
habe man noch gut mit dem LEA zusammengearbeitet, sagt sie. Die Situation | |
und die rechtlichen Rahmenbedingungen seien für alle neu gewesen, man habe | |
Einzelfälle besprochen und gemeinsam nach Lösungen gesucht. „Dieser Konsens | |
scheint aufgebrochen. Wir befürchten, dass es bald eine Welle von | |
Ablehnungen geben wird.“ | |
Auch Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im | |
Abgeordnetenhaus, sorgt sich um die Gruppe. „Der Kurs des LEA scheint sich | |
seit dem Regierungswechsel von R2G zur GroKo verändert zu haben“, sagte sie | |
der taz. „Statt Spielräume für eine Bleibeperspektive zu nutzen, werden | |
jetzt die ersten Ausreiseaufforderungen rausgeschickt.“ | |
Die jungen Menschen leben seit über einem Jahr in großer Unsicherheit. | |
Collins aus Nigeria, der in der Ukraine Internationales Recht studiert hat | |
und seinen Nachnamen aus Angst nicht in der Zeitung lesen will, sagt über | |
die Situation der Betroffenen in anderen Bundesländern: „Es ist, als hätte | |
man uns vergessen. Viele leben mit Duldung, ohne Job, ohne Möglichkeit, | |
Deutsch zu lernen oder weiter zu studieren.“ | |
In Berlin sei es zwar etwas besser, sagt Collins. Hier haben die meisten | |
Drittstaatler*innen eine „Fiktionsbescheinigung“ für ein Jahr | |
Aufenthalt bekommen, um Zeit zu gewinnen, ihren Aufenthalt zu verfestigen, | |
wie das Fachleute nennen – etwa indem sie versuchen, Arbeit oder einen | |
Studienplatz zu ergattern. „Das hat erst mal geholfen. Aber jetzt bekommen | |
wir Briefe vom LEA, dass unsere Erklärungen, warum wir nicht in unsere | |
Heimatländer zurückkönnen, nicht ausreichen würden und wir Asyl beantragen | |
sollen“, berichtet Collins. „Es ist alles so kompliziert, niemand weiß, wie | |
es weitergeht.“ | |
Auch die Ungerechtigkeit über die Ungleichbehandlung nagt an ihm. „Wir sind | |
vor demselben Krieg geflohen, warum hilft man uns nicht wie den | |
Ukrainer*innen? Wir hatten eine glänzende Zukunft vor uns, sind kluge | |
Köpfe, unsere Eltern haben viel in uns investiert. Jetzt haben wir gar | |
nichts mehr“, sagt er. | |
Vor dem Krieg war die Ukraine sehr beliebt bei ausländischen Studierenden, | |
vor allem aus Afrika und Asien, die meisten haben Medizin oder | |
Ingenieurswissenschaften studiert. [1][Laut Bundesamt für Migration haben | |
etwa 37.200] der knapp eine Million Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland eine | |
andere Staatsbürgerschaft als die ukrainische. | |
[2][Rechtlich waren die Drittstaatler*innen von Beginn an schlechter | |
gestellt als Ukrainer*innen]. Mit der erstmals angewendeten | |
EU-Massenzustromrichtlinie bekamen ukrainische Staatsbürger*innen als | |
Kriegsflüchtlinge Aufenthaltserlaubnis, Sozialleistungen und | |
Arbeitserlaubnis. Für Drittstaatler*innen gibt es den „24er-Aufenthalt“ | |
– nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz – nur unter engen Voraussetzungen: | |
etwa als Partner*in, Vater/Mutter eine*r Ukrainer*in oder mit | |
unbefristeter Niederlassungserlaubnis in der Ukraine. Alle anderen müssen | |
individuell darlegen, warum eine „sichere und dauerhafte“ Rückkehr in ihr | |
Heimatland nicht möglich ist. Was darunter zu verstehen ist, ist | |
Auslegungssache. | |
Wie viele Drittstaatler*innen in Berlin einen Antrag auf Aufenthalt | |
nach dem sogenannten Sui-generis-Verfahren gestellt haben, ist unbekannt, | |
[3][da beim Antrag nicht zwischen Staatsangehörigkeiten unterschieden | |
wird]. Bekommen haben laut LEA zum Stichtag 11. Juni 1.670 | |
Drittstaatler*innen einen 24-er Aufenthalt, 1.105 eine | |
Fiktionsbescheinigung. Wie viele Drittstaatler*innen ein Studierenden- | |
oder Arbeitsvisum haben, ist dem LEA nicht bekannt. Laut CUSBU gibt es | |
zudem eine unbekannte Zahl von Anträgen von Drittstaatler*innen, die das | |
LEA gar nicht erst zur Prüfung angenommen hat. | |
Alles in allen hat auch Vicky Germain von CUSBU den Eindruck, dass das | |
großzügige Versprechen, die Drittstaatler*innen nicht im Stich zu | |
lassen, bröckelt. Sie berichtet von einer zunehmend harten Politik. So | |
würden Menschen, die zum Bürgeramt gehen, dort von der Polizei einfach | |
festgenommen, weil ihre Fiktionsbescheinigung abgelaufen ist. Die Polizei | |
nehme ihnen den Pass dann ab. Ähnlich beim LEA: „Manche haben auch über | |
Monate keinen Termin beim LEA bekommen“, wenn sie dann dort seien, müssten | |
sie den Pass abgeben. | |
In der Folge verpassen manche wichtige Uni-Prüfungen, sagt Germain. Sie | |
erklärt, dass die ukrainische Botschaft im Frühling organisiert habe, dass | |
Medizinprüfungen der ukrainischen Unis in Berlin stattfinden. „Aber um sich | |
für die Prüfung anzumelden, brauchen die Leute ihren Pass. Ohne Pass nimmt | |
man ihnen sogar ihre Bildungschancen“, kritisiert sie. Weiterhin verlange | |
das LEA Aufenthaltserlaubnisse und Studienbescheinigungen aus der Ukraine | |
im Original – die auf der Flucht oftmals zurückgelassen wurden. „Den Leuten | |
wird zugemutet, in die Ukraine zurückzureisen, um Papiere zu besorgen.“ | |
Auch bei der Unterbringung von Drittstaatler*innen machten die Ämter | |
Druck, ist Germains Erfahrung – CUSBU hat im vergangenen Jahr Hunderte | |
Betroffene beraten und auf Ämter begleitet. „Immer mehr Bezirke weigern | |
sich, Drittstaatler*innen in Wohnheimen unterzubringen, und schicken | |
sie nach Tegel ins Ankunftszentrum.“ Dort aber sage das | |
Landesflüchtlingsamt, man nehme nur Leute auf, die einen ukrainischen | |
Ehepartner mitbringen. Auch das LEA fordere, dass Ehepartner*innen zum | |
Termin mitgebracht werden müssen. „Wenn das Männer sind, dürfen sie die | |
Ukraine gar nicht verlassen. Wie soll das gehen?“, fragt Germain. | |
Betroffene wie Collins vermuten dahinter Absicht – besonders angesichts der | |
Vielzahl von Problemen, mit denen sich die Gruppe konfrontiert sieht. „Man | |
legt uns nur Steine in den Weg, weil man uns still und leise loswerden | |
will“, sagt er. | |
22 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/factsheet-… | |
[2] /!5922142&SuchRahmen=Print | |
[3] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-13… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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