# taz.de -- Wider die Prinzipien | |
> Free-Jazz-Saxofonist Peter Brötzmann ist tot. Ein Nachruf | |
Von Maxi Broecking | |
Das zuletzt Befürchtete und unendlich Traurige ist eingetreten, der | |
Initiator, kompromisslose Erneuerer und große Lyriker des europäischen Free | |
Jazz ist verstummt. Noch vor wenigen Tagen sagte Peter Brötzmann im | |
Gespräch, er müsse sein Leben neu denken, da er aus gesundheitlichen | |
Gründen absehbar nicht mehr in der Lage sei, zu spielen. Und seine Bilder, | |
Skulpturen, Zeichnungen und Holzschnitte seien immer in Wechselwirkung zur | |
Musik entstanden. Das eine ohne das andere: undenkbar für den, der den | |
freien Jazz in Deutschland und Europa, zuletzt mit seinem „Chicago Tentet“ | |
auch in den USA geprägt hat. Seine letzten Auftritte waren im Januar an | |
drei Tagen im Londoner Café Oto. | |
Geboren 1941 in Remscheid, spielte er als Autodidakt Klarinette und Saxofon | |
in Dixieland-Bands, bevor er mit 17 an die Werkkunstschule nach Wuppertal | |
ging und in der Galerie Parnass Assistent des Fluxus-Künstlers Nam June | |
Paik wurde. Prägend war auch die Begegnung mit US-Trompeter Don Cherry, der | |
Brötzmann den Spitznamen „Machine Gun“ gab, Titel seines gleichnamigen | |
Albums von 1968, der ersten und bis heute bahnbrechendsten Aufnahme des | |
europäischen Free Jazz. Cherry hatte Brötzmann 1966 eingeladen, mit seinem | |
Quintett im Pariser Jazzclub „Le Chat Qui Pêche“ zu spielen. [1][Brötzmann | |
erinnerte sich, es sei hier nicht nur um zaghafte Ausweitung traditioneller | |
Gestaltungsprinzipien gegangen,] sondern um deren Auflösung. 1967 hatte | |
Brötzmann die Machine Gun Band gegründet, ein Nonett aus Musikern wie | |
[2][dem holländischen Drummer Han Bennink] und dem englischen Saxofonisten | |
Evan Parker. „Machine Gun“ veränderte die Jazz-Wahrnehmung grundlegend und | |
spiegelte den politischen Aufruhr vor dem Hintergrund von Nichtaufarbeitung | |
der NS-Verbrechen in Deutschland, Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung in | |
den USA. Peter Brötzmann hinterlässt über einhundert Aufnahmen, vom Solo | |
bis zum Großensemble. Nam June Paik in der bildenden Kunst und Don Cherry | |
im Jazz haben ihm gezeigt, dass es keine Grenzen gibt und nichts, was man | |
nicht darf. Zuletzt war er es, der dieses Wissen weitergegeben hat. | |
Langfassung bei taz.de | |
24 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Maxi Broecking | |
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