Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Harald Welzer über Wirtschaft und Zukunft: It's the Economy, Ökos.
> Wenn wir Ernst machen wollen mit der sozialökologischen Transformation,
> müssen wir das Ökonomische ins Zentrum unserer transformativen
> Aktivitäten stellen.
Bild: Warum die Zukunft sich in der Art des Wirtschaftens entscheidet
Von [1][Harald Welzer]
»Unter Wirtschaften werden alle menschlichen Aktivitäten verstanden, die
mit dem Ziel einer bestmöglichen Bedürfnisbefriedigung planmäßig und
effizient über knappe Ressourcen entscheiden. Die Notwendigkeit zu
Wirtschaften ergibt sich aus der Knappheit der Güter einerseits und der
Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse andererseits.«
Ach, Wikipedia, du Quelle unendlichen Wissens, du faszinierender Nachweis
für die Schwarmintelligenz auch der Menschen! Nach deiner profunden
Definition gäbe es all den Quatsch nicht, den die Wirtschaft unermüdlich
und mit stetem Erfolg den Leuten andreht: Wer hätte denn je von sich aus
das Bedürfnis gehabt, ein drei Tonnen schweres Elektroauto zu kaufen, das
in keine Garage und auf keinen Parkplatz passt, aber dafür so designt ist,
als käme es aus einem Kaugummiautomaten? Und wer würde, nach dem
beschleunigten Ausbaubeschluss von 144 Autobahnen in Zeiten der
Klimakatastrophe, im Ernst von einer effizienten Nutzung knapper Ressourcen
sprechen?
Die »Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse« gibt es nur in der Poetik
der Wirtschaftswissenschaften, in der Wirklichkeit sind die menschlichen
Bedürfnisse zum Beispiel dadurch begrenzt, dass sie sterben müssen, die
Menschen. Oder schon dadurch, wie der Existenzialphilosoph Uwe Seeler
formuliert, kann »man ja nicht mehr als drei Steaks am Tag essen«.
Und genauso wie die Trivialpsychologie der »menschlichen Bedürfnisse« nur
eine funktionale Erfindung dafür ist, den Menschen Eigenschaften
anzudichten, die zu einer völlig entgrenzten und gerade nicht an Ressourcen
und Bedürfnissen orientierten Immerwachstumswirtschaft passen, so wird die
Knappheit der Güter ja nicht prinzipiell berücksichtigt, sondern durch
Übernutzung permanent gesteigert (Knappheit wird erhöht?), was etwa die
spektakulären Aussterberaten der Arten bezeugen oder auch die planmäßige
Zerstörung von Böden, Wäldern und Gewässern. Ausgerechnet die einzige
Ressource, die nicht knapp ist, wächst immer weiter, weil sie so
erfolgreich von den Ökonomen bewirtschaftet wird: Das ist die Dummheit.
## Age of Stupid
Tatsächlich wird unser Zeitalter, falls es später noch Historikerinnen und
Historiker geben wird, als »Age of Stupid« bezeichnet werden, denn noch nie
haben Menschen mit so viel Wissen so viel falsch gemacht. Jedenfalls wenn
man das, was sie tun, vom Standpunkt des Überlebens der menschlichen
Lebensform her betrachtet. Wenn man es vom Standpunkt der Maximierung von
Lebenschancen für einen sehr kleinen Teil der Menschen betrachtet, dem als
Voraussetzung auch noch das Prinzip der Generativität gleichgültig sein
muss, ist aber ziemlich dicht am Optimum, was gerade so auf der Welt
geschieht.
Dabei ist es doch bemerkenswert, dass wir ein halbes Jahrhundert nach dem
Beginn der globalen Ökologiebewegung und eine Generation nach dem
wissenschaftlichen Nachweis der menschengemachten Erderwärmung immer noch
zwei grundlegenden Irrtümern aufsitzen:
Dass erstens die obsessive Beschäftigung mit einem Molekül, dass man von
einer falschen Platzierung abbringen muss, die Überlebensprobleme schon
lösen würde. Abgesehen davon, dass – wie auch der IPCC sagt – das magische
Projekt der »Dekarbonisierung« viel zu langsam läuft, um das 1,5- oder
2-Grad-Ziel zu erreichen und überdies noch die Erzeugung »negativer
Emissionen« voraussetzt: selbst wenn man es erreichen würde, setzt ein
permanentes Anwachsen der Güter- und Verbrauchsmengen auch dann noch so
viel Zerstörung voraus, dass man sich am Abbremsen der Erderhitzung kaum
freuen wird, weil auch die klassische Verschmutzung und Vermüllung der Welt
die Überlebensräume radikal verkleinern wird.
Zweiter Irrtum: dass wir uns noch intensiver das Hirn darüber zermartern
müssen, weshalb »die Menschen nicht vom Wissen zum Handeln kommen«, wie es
gern heißt. Die Antwort darauf ist einfach: Weil wir die Probleme, die mit
Ökologie und Klima zu tun haben, arbeitsteilig zu behandeln gelernt haben.
Für die Ökonomie – die gesellschaftliche Organisation des menschlichen
Stoffwechsels – sind die Wirtschaftsleute zuständig. Für die Sorgen, die
man sich über die schlechten Folgen eines falschen Wirtschaftens machen
muss, die Ökos. Mit dem einen Ergebnis, dass die Wirtschaftsform, die nach
wie vor radikal dominiert, nur in Spurenelementen ökologisch modernisiert
ist und dass sich die Öko- und Klimabewegung nur auf höchst luxurierende
Weise für Ökonomie interessiert – vor allem in Form von Schuldzuweisungen
an »die Wirtschaft« und »die Konzerne«.
## Wirtschaft ist zukunftentscheidend
Ihnen sei aber gesagt, dass selbst jene »Gesellschaftsräte«, die etwa »Die
letzte Generation« fordert, auch institutionelle Gebilde sind, die
irgendwie finanziert werden müssen, genauso wie zum Beispiel Schulen und
Universitäten, Gerichte und Schwimmbäder und womöglich auch ein
bedingungsloses Grundeinkommen. Das kann wiederum nur eine Wirtschaft
gewährleisten, die in ihrer Organisation von Produktion und Reproduktion so
viel Mehrwert abwirft, dass nicht nur die Leute, die die Arbeit machen,
davon leben können, sondern überdies ein Staat so viel Steuern darauf
erheben kann, dass er eine Daseinsvorsorge im umfassenden Sinn leisten
kann.
Das heißt: Wenn wir Ernst machen wollen mit der sozialökologischen
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, müssen wir die angenehme
und liebgewonnene Arbeitsteilung zwischen Ökonomie und Ökologie aufheben
und das Ökonomische ins Zentrum unserer transformativen Aktivitäten
stellen. Denn wenn wir unseren Stoffwechsel nicht anders zu organisieren
lernen als in den letzten zweihundert Jahren, wird das nix mit dem
Überleben der Menschen.
Wieso zweihundert Jahre? Weil um diese Zeit der Siegeszug der fossilen
Energie begann, zunächst in den früh industrialisierten Ländern, später und
bis heute auf der ganzen Welt. Und mit dieser Energie jenes zuvor
unvorstellbare Ausmaß an Zurichtung und Zerstörung der Natur angerichtet
werden konnte, deren Folgen heute die künftigen Überlebensmöglichkeiten
fraglich machen. Das aber kann man auch so formulieren: Wirtschaftlich wird
unser gesellschaftlicher Stoffwechsel seit zweihundert Jahren nicht
nachhaltig organisiert, und je weniger nachhaltig diese Organisation wurde,
desto schneller wuchs und wächst der Wohlstand, jedenfalls der materielle.
Wenn man diese immer noch verfolgte Entwicklungsrichtung der
Nicht-Nachhaltigkeit wechseln möchte, muss die Ökonomie ins Zentrum aller
einschlägigen Bemühungen rücken.
Was sind die unternehmerischen Strategien, so zu wirtschaften, dass man
nicht zur Zerstörung beiträgt, sondern sie möglicherweise sogar zu heilen
hilft? Welche zur Nicht-Nachhaltigkeit geradezu verpflichtenden Parameter
des wirtschaftlichen Handelns müssen so verändert werden, dass der
Kapitalismus aufhört, die Natur zu konsumieren? Welches gesellschaftliche
Naturverhältnis kann dafür sorgen, dass nicht nur die Zerstörung gestoppt,
sondern gleichzeitig das zivilisatorische Projekt fortgesetzt werden kann,
in dem Freiheit, Recht und Teilhabe Garantien und nicht Privilegien sind?
Wir machen Ernst. Und versuchen das jetzt mit einem Schwerpunkt Wirtschaft.
Harald Welzer ist Herausgeber von taz FUTURZWEI.
9 Jun 2023
## LINKS
[1] /Harald-Welzer/!a33750/
## AUTOREN
Harald Welzer
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.