# taz.de -- Abrissparty für die Komische Oper | |
> „Saul“, nach einem Oratorium von Händel, war die letzte Premiere in der | |
> Komischen Oper vor ihrem sanierungsbedingten Umzug. Große Bilder, | |
> übersteigerte Gefühle, was will man mehr | |
Bild: Szene aus „Saul“ in der Regie von Axel Ranisch mit Rupert Charleswort… | |
Von Peter Weissenburger | |
Da liegt ein hausgroßer abgetrennter Kopf auf der Bühne und starrt einen | |
aus glasigen Augen an. Normal, Oper eben. Dieser konkrete Kopf hier gehörte | |
mal dem Goliath. Geköpft hat ihn David, der künftige König Israels, kennt | |
man. Und da beginnt die Tragödie. | |
Den amtierenden König Saul macht es nämlich nervös, dass David vom Volk als | |
Superstar gefeiert wird. König Saul ist ein Tyrann, was man zunächst nicht | |
merkt, weil er in dieser Inszenierung der Komischen Oper Berlin auf dem | |
Goliathkopf herumkrabbelt wie eine Ameise. | |
Oper ist die Welt der übergroßen Bilder, der übersteigerten Gefühle, der | |
nach außen gestülpten Empfindlichkeiten. Man könnte sagen: die Welt der | |
Opulenz. Dieses Thema hat sich die Komische Oper für ihre auslaufende | |
Spielzeit gegeben: „Mehr Opulenz!“ Da hinein gehört die neue Produktion | |
„Saul“, mit dem Riesenkopf. Ein szenisches Oratorium von Georg Friedrich | |
Händel, bildstark inszeniert vom Berliner Film- und Opernregisseur Axel | |
Ranisch. | |
Das englische Oratorium ist eine Erfindung Händels. Ein Rebranding, würde | |
man heute sagen. In den 1730ern kam die italienische Oper in London nicht | |
mehr gut an, also führte Händel ein neues Format ein. Er befreite sich von | |
den strengen Regeln der Opera seria, von den ellenlangen Arien, von der | |
italienischen Sprache. Händels Oratorien wie „Semele“ und „Saul“ sind | |
dramatischer, psychologischer. Es geht weniger um verschmähte Liebe, dafür | |
um Hass, Neid, Politik und göttlichen Zorn. | |
König Saul will David am liebsten umbringen, sich aber zugleich in seinem | |
Ruhm baden. Der Bass Luca Tittoto singt die Titelpartie als labile | |
Vaterfigur mit abrupt wechselnden Launen. In Tittotos klarem Ton liegt | |
immer etwas Doppeldeutiges. Wenn er singt „So wahr Jehova lebt, dem Jungen | |
soll nichts geschehen“, ist das drohende Unheil bereits zu hören. | |
Unter Sauls Narzissmus leiden, auch das gehört sich bei der Oper so, vor | |
allem seine Kinder. Penny Sofroniadou bietet die ältere Tochter als stolzes | |
Biest dar, ohne je ihren warmen Ton zu verlieren. Nadja Mchantaf singt die | |
jüngere, sanftere Tochter eindringlich und dramatisch. | |
Die Show stiehlt allerdings Tenor Rupert Charlesworth als Prinz Jonathan, | |
der perfekte Gegenpart zu Tittotos Saul. Jonathan ist der zarte, übersehene | |
Sohn. Ewig unruhig, schwankend zwischen Kraft und Empfindsamkeit gelingt es | |
Charlesworth, seiner Figur die meiste Tiefe zu geben. Dabei hilft die | |
zusätzliche Ebene, die der Beziehung zwischen Jonathan und David | |
angedichtet wurde. Die zärtliche Männerfreundschaft im Original hat Ranisch | |
zur heißen Affäre umgedeutet. So wird aus dem übersehenen Sohn obendrein | |
ein übergangener Liebhaber. Oh, Oper! | |
David schließlich, die Person um die alle kreisen, kommt wenig zu Wort in | |
dieser Inszenierung. Einige seiner Arien wurden gestrichen. Schade, denn | |
der einzigartig weiche, helle Countertenor von Aryeh Nussbaum Cohen macht | |
mit jeder Phrase Lust auf mehr. Zum Glück wird man, so viel sei verraten, | |
am Ende entschädigt. | |
Regisseur Axel Ranisch, dessen Opernfilm „Orphea in Love“ gerade in die | |
Kinos gekommen ist, hat bei Rosa von Praunheim studiert und ist in der Welt | |
der Opulenz zu Hause. Ihm gelingt es, die Figuren als Archetypen zu | |
inszenieren, seine dysfunktionale Familie Saul wirkt wie von nebenan. In | |
einer Welt, wo Riesenköpfe herumliegen und Menschen phonieren statt sich zu | |
unterhalten, ist das Gold wert. | |
Hie und da gerät das Spiel zu hektisch. Die Darstellenden mimen dann mit | |
wedelnden Armen und Grimassen, wodurch ihnen der tragische Grundton der | |
Geschichte entgleitet. Zudem zerfällt Ranischs Inszenierung in zwei Teile, | |
die nicht so recht zusammengehören wollen. Familienmelodram hier, | |
Kriegsdrama da. | |
Erfüllt dagegen ist der Arbeitsauftrag: Opulenz. Dafür steht die Komische | |
Oper dank Ex-Intendant Barrie Kosky: knallige Farben, Selbstbewusstsein, | |
große Gesten. Nun verabschiedet sich das Opernhaus in die | |
Renovierungsphase. In Mitte rieselt seit Jahren der Stuck von der Decke. | |
Die „Opulenz“-Wochen sind die große Abrissparty: Neben „Saul“ sind im … | |
letztmalig die Händel-Werke „Xerxes“ und „Semele“ zu sehen. | |
Ab Herbst ist die Komische dann im Schillertheater am Ernst-Reuter-Platz zu | |
finden, wohin zuvor schon die Staatsoper sieben Jahre ausgelagert war. Dort | |
ist kein Platz für hausgroße Köpfe und das nüchterne Ambiente eignet sich | |
nicht für Opulenz. Immerhin ein Trost für alle Opernfans mit knappem | |
Budget: Im Schillertheater gibt’s keine schlechten Plätze. | |
„Saul“, Komische Oper: Do., 1. Juni; So., 4. Juni; Sa., 10. Juni | |
1 Jun 2023 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |