# taz.de -- Ein Cellist aus Gelsenkirchen in Japan | |
> Dokumentarfilmer Rainer Komers begleitet in „Miyama, Kyoto Prefecture“ | |
> einen Musiker bei seiner dörflichen Existenz in Fernost | |
Bild: Komers Blick auf Miyamas BewohnerInnen | |
Von Claudia Lenssen | |
Es beginnt mit den Bildern eines waldreichen Flusstals. Wind und | |
Geplätscher korrespondieren mit dunklen Trommelrhythmen und der Stimme | |
einer Frau, die ernst und gesammelt einen Zen-buddhistischen Gesang | |
vorträgt. An ihrer Seite ein grauer Strubbelkopf, ins Spiel seiner | |
Shakuhachi-Flöte versunken. | |
Auf den ersten Blick scheint „Miyama, Kyoto Prefecture“, das jüngste von | |
Rainer Komers' dokumentarischen Cine-Poems, nah dran an den idyllischen | |
Natur- und Folklorefilmen, von denen die Fernsehkanäle überquellen, damit | |
wir die Klimakrise vergessen. Aber in seinem Film kommt es auf stille Weise | |
anders. | |
Der deutsche Strubbelkopf Uwe Walter nimmt Rainer Komers in sein | |
japanisches Landleben mitten im Naturschutzgebiet der regenreichen | |
Bergregion in der Präfektur Kyoto mit. Walter, einst ausgebildeter | |
Cello-Musiker in Gelsenkirchen, dann Straßenmusiker bei der Truppe | |
Hundertfleck und auf buddhistischem Trip in den 1980ern in Kyoto | |
gestrandet, hat dreißig Jahre mit seiner japanischen Frau und drei Kindern | |
in Miyama, einem Sechshundert-Seelen-Dorf verbracht. | |
Wikipedia ist zu entnehmen, dass der Deutsche einer der bekanntesten | |
Virtuosen des klassischen japanischen Bambusflötenspiels ist und zahllose | |
Konzerte absolviert hat. | |
Die Karriere klingt in „Miyama, Kyoto Prefecture“ allerdings nur in | |
beiläufigen, wie für sich selbst gespielten Flötenklängen an. Im | |
Mittelpunkt des nachdenklichen Lebensresümees steht der Dorfalltag und | |
damit auch die Frage, ob und wie der Herzensjapaner in Miyama integriert | |
ist und wie ernst es ihm mit der buddhistischen Lebenshaltung des „Alles | |
fließt“ ist. | |
Einen Sommer und verregneten Herbst lang begleitet ihn Rainer Komers' | |
Kamera, schweift ab zu den Seniorinnen von Miyama und den Jägern, | |
Forstarbeitern, Anglern und Waldforscherinnen in den Bachtäler ringsum – | |
alle auf ihre Weise Taifun-geprüft und bodenständig krisenbewusst. An Bord | |
des mobilen Lebensmittelladens unternimmt der Film gemächliche Stippvisiten | |
in die Nachbarschaft, zu den alleinlebenden alten Frauen des Dorfes, den | |
Kindern in der neuen Primary School und dem fröhlichen jungen Paar, das den | |
Stress quasi-industrieller Geflügel-Schlachterei für das Schulgeld der | |
Kinder aushält. | |
Walters Frau zeigt, wie er die Reissetzlinge ordentlich einbringen soll, | |
hält sich jedoch ebenso wie seine Kinder aus dem Film heraus. Sein Haus | |
scheint tabu, sein Musikzimmer, eine selbstgezimmerte Bude an der hölzernen | |
alten Dorfschule, die Walter einst – sagen die Dörfler – „besetzte“, i… | |
nicht. Was wird aus dem improvisierten Rückzugsort, wenn doch das Dorf den | |
Abriss fordert? | |
Gelassen und mit unüberhörbarem Ruhrpott-Humor gesegnet kümmert sich der | |
Künstler um die Reispflanzen, den Gemüsegarten und die komplizierten | |
Zaunnetze gegen fressgierige Affen und Wildschweine. Wie alle Porträts des | |
Films lebt auch Uwe Walters bodenständig philosophisches Räsonnement über | |
sein Karma und die Frage, wo er dereinst nach dem Tod im buddhistischen | |
Sinn „verschwinden“ wird, von viel freundlichem Gelächter. | |
Wie in allen Filmen von Rainer Komers lässt er „Miyama“, seine Landleute, | |
ihre Traditionspflege samt Trommeltanz ohne spektakuläre Höhepunkte, ohne | |
besserwisserischen Kommentar und illustrierende Musik ganz für sich selbst | |
wirken. Statt um fiktive Idylle geht es um die Realien der dörflichen | |
Existenz in einer alternden Gesellschaft, die gärtnerische | |
Subsistenzwirtschaft, musikalische Traditionen, Naturschutz und Tourismus | |
zu verbinden versucht. Mittendrin das Original Uwe Walter. Ihm fallen bei | |
der meditativen Ackerei im Gemüsebeet alte Schlager ein. Mit John Denvers | |
Song „Country Roads take me home/ to the place I belong“ sehen wir ihm ins | |
Herz. | |
„Miyama – Kyoto Prefecture“. Regie: Rainer Komers. Deutschland/ Japan 202… | |
97 Min. | |
15 May 2023 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |