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# taz.de -- Ein Himmel voller Schiffe
> Außerirdische? Luftreisende? Fliegende Objekte? Was das 17. Jahrhundert
> davon hielt, lässt sich jetzt in einer Ausstellung der Kunstbibliothek
> erkunden
Bild: Darstellung eines fantastischen Luftschiffs aus dem Hochzeitsfest Kaiser …
Von Martin Conrads
Erinnert sich noch jemand an den UFO-Kongress zu Ostern 1992 in der – wo
sonst – ufa-Fabrik? Wie nicht anders zu erwarten, waren wirrste und
krudeste Vorträge und Augenzeug:innenberichte über Alien Abduction
an der Tagesordnung. Büchertische mit der entsprechenden Literatur säumten
das Kongress-Café, darin die immer gleich unscharf gerasterten Bilder
angeblicher Außerirdischer oder UFOs, von Magie nicht zu unterscheiden.
Im 17. Jahrhundert sah nicht nur die Sache mit der Unschärfe noch anders
aus: drei Tage nach Ostern 1665 wurden sechs Fischer beim Heringsfang nah
Stralsund einer Luftschlacht gewahr, die sich im Himmel abspielte. Aus
Vogelschwärmen hervorgehende Schlachtschiffe mit Besatzung, die sich über
Stunden bekriegten, erschienen ihnen; am Abend hatte dann noch „eine platte
runde Form wie ein Teller“ ihren Auftritt über St. Nikolai, einer der
Hauptkirchen der Stadt. Bereits zwei Tage später verbreitete sich die Kunde
über das Ereignis in einer – wo sonst – Flugschrift, multiplizierte sich in
Zeitungen und Büchern, schließlich erschien ein erstes Bild: ein
Kupferstich mit den Fischern, den Schiffen und dem Teller, alles
anschaulich dargestellt und vor allem gestochen scharf – absolut glaubhaft.
Ort des Drucks: das Buch „Der Wunder-reiche Uberzug unserer Nider-Welt/Oder
Erd-umgebende Lufft-Kreys“.
Das Problem war nur, dass jene erste Illustration dieser frühneuzeitlichen
UFO-Sichtung erst 15 Jahre nach der Vision erschien – und dass der Schöpfer
des Stichs, der damals in Nürnberg lebende „Buntschriftsteller“ Erasmus
Francisci, zeitlebens nicht in Stralsund gewesen war. Was aber den
entscheidenden Unterschied der Geschichte zu all den
Close-Encounters-Erlebnisberichten aus der ufa-Fabrik ausmacht: im 17.
Jahrhundert, so die damalige Annahme, hatten Menschen für prinzipiell höher
entwickelte, da des Fliegens mächtige Außerirdische nur den Status von
kostümierten Affen. Die Erde mit ihrer im Verhältnis kaum entwickelten
Zivilisation sei also ein uninteressantes Besuchsziel, weswegen
Außerirdische es grundsätzlich nicht für nötig befänden, tatsächlich einen
Fuß auf sie zu setzen – Entführungen durch gelandete Aliens also
ausgeschlossen.
Darauf jedenfalls weist Moritz Wullen hin, Direktor der Kunstbibliothek im
Berliner Kulturforum. Als Kurator der Ausstellung „UFO 1665. Die
Luftschlacht von Stralsund“ hat er, ausgehend von diesem Stich und seiner
Geschichte, 50 historische Abbildungen zusammengestellt. Sie zeigen nicht
nur die Wandlungen entsprechender Illustrationen des Ereignisses durch die
Jahre, sondern auch andere als göttlich empfundene Zeichen und
Wundererscheinungen des 17. Jahrhunderts wie Blutregen (Saharastaub) oder
das „weiße Creutz“, das die Sonnen „durchgangen“ habe (der von
Eiskristallen ausgelöste Parhelion-Effekt). In den in Vitrinen
präsentierten Originalbüchern sowie auf hochgezogenen Reproduktionen an den
Wänden zeigt die Ausstellung auch Motive, die ein damaliges Interesse für
technische Bilder mit schwebenden und fliegenden Objekten nahelegen. Es sei
das gleiche Publikum gewesen, für das die Bilder der Luftschlacht von
Stralsund produziert wurden.
Anlass dieser Ausstellung zur historischen UFO-Sichtung war der Leak dreier
vom Pentagon freigegebener UFO-Videos 2020. Die Pandemie gab Wullen dann
viel Zeit, zu den historischen Dimensionen von UFO-Sichtungen zu forschen,
vor allem in den Beständen der Kunstbibliothek selbst und in der
Staatsbibliothek; aus ersterer stammt denn auch der Großteil der gezeigten
Originale. Immer wieder fand Wullen Ähnlichkeiten zu den Medien von heute:
Der Teller über St. Nikolai – wo fünf Jahre später ein Blitz einschlug,
sodass die UFO-Sichtung nachträglich als Prodigium, als göttliches
Vorzeichen, eingeordnet werden konnte – sieht auf späteren Abbildungen mehr
und mehr wie ein Mühlstein aus. Was damals nicht unbedingt Anlass zur
Sorglosigkeit gab, wird doch laut der Apokalypse Babylon mithilfe eines von
einem Engel geworfenen Mühlsteins im Meer versenkt.
Aus heutiger Sicht aber noch interessanter: die Ausstellung ergänzt die
Illustration sinnfällig um ein Bild der Flugscheibe aus dem 1990er B-Movie
„Independence Day“. „Der Himmel war im 17. Jahrhundert ein Stadion-Screen…
sagt Wullen und schlägt so den Bogen zur doppelten Bedeutung des
„Medien“-Begriffs, während man selbst an den ersten Satz aus William
Gibsons Roman „Neuromancer“ von 1984 denkt: „Der Himmel über dem Hafen
hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet
war.“
„UFO 1665. Die Luftschlacht von Stralsund“, Kunstbibliothek im Kulturforum,
bis 27. 8.
11 May 2023
## AUTOREN
Martin Conrads
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