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# taz.de -- Aus Sicht von Tätern, Opfern und Befreiern
> Im Museum für Fotografie hinterfragt eine Ausstellung, mit welchen
> unterschiedlichen Blicken die Shoah abgebildet wurde
Bild: Mendel Grossman fotografierte heimlich: „Kinder auf einer Straße im Gh…
Von Renata Stih
Wenn man über den Holocaust spricht, denkt man unweigerlich an
Dokumentationen von den unfassbaren Gräueln der nationalsozialistischen
Judenvernichtung, den entmenschlichten Zuständen in den
Konzentrationslagern, ausgemergelten Körpern und Leichenbergen. Es sind
Bilder, die aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit nicht wegzudenken
sind. Diese Bilder, Film- und Tonaufnahmen, die unmittelbar nach der
Befreiung der Überlebenden durch die Alliierten 1945 in Lagern wie Ohrdruf,
Maydanek, Auschwitz und Treblinka gemacht worden sind, offenbarten der Welt
das Ausmaß des Entsetzlichen in der Nazi-Diktatur. Sie sind Dokumente für
die Nachwelt und Beweismittel zur Verurteilung der Täter*innen, die auch
bei den Nürnberger Prozessen eingesetzt wurden.
Die Ausstellung „Flashes of Memory – Fotografie im Holocaust“ im Museum f…
Fotografie hinterfragt, unter welchen Umständen jene Bilder von der Shoah
entstanden sind, die wir als verbriefte historische Quellen verstehen. Und
sie will wissen, wie das Medium Fotografie mit seiner damaligen
Kameratechnik die individuelle Sichtweise der kollektiven Erinnerung der
Geschehnisse mit beeinflusst hat. Vivian Uria, Kuratorin des Museums in Yad
Vashem, hat diese Ausstellung konzipiert und dort zuerst vorgestellt. Das
Berliner Ausstellungsprojekt ist eine Kooperation zwischen Yad Vashem und
der Berliner Kunstbibliothek. Vivian Uria hat Fotografien, Filme und
Kameras aus Archiven und Museen in den USA, Europa und Israel
zusammengetragen. Sie sind nun in einer reduziert ausgeleuchteten
Ausstellungsarchitektur inszeniert, um das sensible Film– und Fotomaterial
zu schützen. Diese düstere Atmosphäre ermöglicht noch vielmehr, sich auf
das vielschichtige Material und die teils schockierenden Darstellungen auf
den kleinformatigen Fotos zu konzentrieren. Sie hängen teils an Wänden,
teils sind sie an beleuchteten Tischen thematisch geordnet und werden von
sachlichen Erläuterungstexten begleitet.
Das Bemerkenswerte der Ausstellung ist, dass sie das Thema aus
verschiedenen Perspektiven heraus betrachtet, aus der Sicht der Täter, der
Sicht der Opfer und der Sicht der Befreier.
Für das deutsche NS-Regime spielten neueste Medien wie Fotografie und Film
eine elementare Rolle, für ihre Hetzpropaganda zur Manipulation der Massen
und zur Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie. In der
Ausstellung sieht man Aufnahmen vom Kölner Karneval 1934. Auf Umzugswagen
sind antisemitische Pamphlete mit Slogans angebracht, „die letzten ziehen
ab, nach Lichtenstein und Jaffa“ heißt es darauf.
Victor Klemperer erwähnt am 17. August 1937 in seinem berühmten Tagebuch
„Ich will Zeugnis ablegen“ auch ein Bild aus dem Nazi-Propagandablatt „Der
Stürmer“. Darauf sind zwei Mädchen im Badekostüm in einem Seebad zu sehen,
darüber der Satz „Für Juden verboten“, und dazu die Überschrift „Wie s…
dass wir jetzt unter uns sind“.
Um die ausgestellten Fotos verständlich zu machen, werden sie ergänzt durch
verschiedene Dokumente, wie einer Anweisung des Reichspropagandaministers
von Oktober 1939: „Aus Warschau und dem ganzen besetzten Gebiet nach
Möglichkeit in größerem Umfange als bisher Filmaufnahmen von Judentypen
aller Art und zwar sowohl Charakterstudien, als auch Juden beim
Arbeitseinsatz. Dieses Material soll zur Verstärkung unserer inner- und
außenpolitischen antisemitischen Aufklärung dienen.“
Die entstandenen Propaganda-Fotografien in den besetzten Gebieten zeigen
für das Ausland dezidiert das gute Leben und zufriedene Arbeiten der
jüdischen Bevölkerung in den Lagern im Osten – darunter auch glücklich
spielende Kinder.
Daneben zeigt die Ausstellung auch Privataufnahmen der deutschen
Armeeangehörigen und Soldaten, die den Lieben zu Hause zeigen wollten, was
sie unterwegs, in den besetzten Ländern so alles erleben. Da sieht man
Aufnahmen, die mal den Alltag in Polen auf dem Land zeigen, aber dazwischen
auch Dinge, die nicht ins offizielle Propagandabild passten: auf der Straße
liegende, verhungernde Kinder im Warschauer Ghetto 1941, aufgenommen von
den deutschen Soldaten Heinrich Jöst und Willy George. Solchen Abbildungen
schließen sich unmittelbar die Selbstdarstellungen von Soldaten einer
Propagandakompanie an, ausgestattet mit Fotoapparat und Filmkamera, die in
schicken Uniformen und geputzten Stiefeln inmitten der Warschauer Ruinen
stehen.
Bemerkenswert sind die seltenen Aufnahmen jüdischer Fotografen aus den
Ghettos. Die Nazis verboten ihnen, Kameras zu besitzen oder gar Aufnahmen
machen. Dass solche Fotos existieren, verdankt man besonders mutigen
Menschen, sie riskierten für diese Fotografien ihr Leben. Henryk Ross,
dessen Aufnahmen erhalten blieben und heute in der Art Gallery Ontario
verwahrt werden, sagte 1987 aus: „Da ich über eine Kamera verfügte, konnte
ich die ganze tragische Zeit im Ghetto Łódź festhalten. Mir war bewusst,
dass meine Familie und ich gefoltert und getötet würden, wenn sie mich
dabei erwischten.“ Die Fotografen machten diese Aufnahmen trotzdem und
hinterließen dadurch einzigartige Dokumente für die Nachwelt, die das ganze
Elend der eingepferchten, entrechteten, entwürdigten Menschen und das
Ausmaß des Verbrechens evident machen. Zvi Kadushin fotografierte im Ghetto
von Kaunas und sagte: „Ich machte tausende, ja abertausende Fotos … für
später, für die Ewigkeit.“
Diametral entgegengesetzt zur Nazi-Propaganda sind die dramatischen
Dokumentationen der Befreiungsarmeen. Dank der Fotograf*innen der
Alliierten, die bei der Befreiung der Konzentrationslager Ende des Krieges
aufgenommen wurden, gibt es die bildlichen Zeugnisse von dem
unvorstellbaren Leid der Überlebenden und dem furchtbaren Ausmaß der
Vernichtung im Holocaust. Sie sind wichtigste Dokumente der Shoah und
dienen bis heute zur Beweislage gegen Verantwortliche und Mittäter. Die
Fotografien der Alliierten hatten auch noch eine andere politische
Motivation: die der Umerziehung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten
Weltkrieg.
Dabei ist kaum bekannt, dass auch Regisseur Alfred Hitchcock zusammen mit
dem Produzenten Sidney Bernstein und Kameraleuten der British Army Film
Unit im Jahr 1945 bei Aufnahmen im Konzentrationslager Bergen-Belsen die
entsetzlichen Zustände dokumentiert hat. Der TV-Film „Memory of the Camps“
(Erinnerung der Lager) arbeitet diese unbekannte Anekdote der
Mediengeschichte auf. Er kam 2014 raus und wurde bei der Berlinale gezeigt.
Diesen Film könnte man in Zusammenhang mit der Ausstellung auch wieder
zeigen.
„Flashes of Memory – Fotografie im Holocaust“, Museum für Fotografie, bis
20. 8. 2023
4 Apr 2023
## AUTOREN
Renata Stih
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