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> Wertsteigerung durch Nichtstun: Die verqueren Entwicklungen am Berliner | |
> Markt für Wohnimmobilien und was das mit der Stadt macht, durchleuchtet | |
> der Band „X Properties“ | |
Bild: „Embrace spatial diversity of the commons“, ein demonstrierender Spaz… | |
Von Michael Freerix | |
Scheinbar unaufhaltsam steigen in Berlin die Immobilienpreise, und damit | |
die Mieten. Was genau steckt hinter dieser Entwicklung, bildete doch der | |
Berliner Immobilienmarkt über lange Zeit eine relativ funktionierende | |
Mischung aus Angebot und Nachfrage? | |
„X-Properties“, herausgegeben von Joerg Franzbecker, Naomi Hennig und | |
Florian Wüst, beschäftigt sich mit einigen Hintergründen dieser Krise. „Wir | |
haben häufig nur eine sehr vage Vorstellung davon, welche Logiken, | |
Dynamiken, Umverteilungsmechanismen und politischen Rahmenbedingungen die | |
so genannte Finanzialisierung zur Entfaltung bringen“, begründen sie ihr | |
Vorhaben. Und formulieren an anderer Stelle, „nur die lebenswerte Stadt für | |
alle als Ziel vor Augen zu haben“. Ihr Blick richtet sich vor allem auf | |
gemeinschaffende Infrastrukturen, auf Straßen, Plätze, Kieze, anhand deren | |
Veränderung sie einen fundamentalen Wandel des Immobilienmarkt | |
nachzeichnen. | |
Alles begann gemäß der Herausgeber:innen Anfang der 2000er Jahre, als | |
die Bundesgesetzgebung Investorenfonds im Wohnungssektor zuließ. Daraufhin | |
veräußerte der Berliner Senat 2004 – damals mit Klaus Wowereit als | |
Regierenden Bürgermeister in einer Koalition der SPD mit der PDS – die | |
städtische Wohnungsbaugesellschaft GSW an zwei Hedgefonds. Bei Berlins | |
steigender Einwohnerzahl und gleichzeitig „günstigen“ Immobilienpreisen | |
interessierte sich zunehmend das Kapital für die Stadt. | |
Doch die neuen Finanzakteure verfolgten andere Ziele als zuvor. Sie | |
strebten eine Fiskalisierung, eine Geldbewertung, des städtischen Raumes | |
an. Es sei ihnen also nicht mehr darum gegangen, Gebäude zu kaufen und aus | |
den Mieten und Verkäufen Erlöse zu erzielen, sondern darum, den städtischen | |
Raum spekulativ aufzuwerten. Dies erhöhe den fiktiven Wert ihres | |
Unternehmens, und erleichtere es, Geld aus dem Finanzwesen für die eigenen | |
Geschäfte zu generieren. Mit ihren derart erreichten Finanzmitteln würden | |
wiederum neue Immobilien gekauft, und der Stadtraum fiskalisch weiter | |
aufgewertet. Mit der Folge, dass es noch leichter sei, an Kredite zu | |
gelangen und den „vermutlichen“ Wert des eigenen Unternehmens steigen zu | |
lassen, resümieren die Herausgeber:innen. Vermietung und Verkauf seien nur | |
Nebengleise in diesem Geschäftsmodell. | |
Im Band mit verschiedenen Textbeiträgen und Fallbeispielen – unter anderem | |
von der ehemaligen Senatorin für Stadtentwicklung, Katrin Lompscher von der | |
Linken – schildert Christian vom Syndikat-Kollektiv en detail, wie das | |
Kollektiv [1][eine Verlängerung des Mietvertrages für seine Kneipe in der | |
Neuköllner Weisestraße zu erreichen versuchte.] Die vermietende | |
Eigentümergesellschaft sei dabei ein spezieller Fall: eine Konstruktion von | |
über 60 Firmen, die alle nur einer Eigentümergruppe gehörten. Die vielen | |
Firmen machten aber fleißig Geschäfte miteinander, leihten sich | |
untereinander Geld, um Steuern zu sparen, und agierten in einem Raum, den | |
sie ganz für sich gestalten könnten. Was sogar legal ist. | |
Nach vielen fehlgeschlagenen Kommunikationsversuchen unterbreitete das | |
Syndikat-Kollektiv den Eigentümern sogar das Angebot, das Haus selbst zu | |
kaufen. Doch eine Kneipe in ihrem Haus oder vielmehr in ihrer Straße, so | |
vermutet Christian (der seinen Nachnamen nicht preisgeben will), das | |
beschädige den fiskalischen Status der Straße an sich. Sie darf dort nicht | |
sein! Seit drei Jahren nun sind die Räume des Kneipenkollektivs zugemauert | |
und stehen leer. Auf diese Weise arbeite die Eigentümergesellschaft daran, | |
den „ideellen“ Wert des Stadtraumes aufzuwerten, und damit dann auch den | |
fiktiven Wert ihres Unternehmens zu vergrößern. Und durch diese | |
Wertsteigerung können Mieten erhöht oder bessere Verkaufserlöse erzielt | |
werden, ohne dass dies ungreifbare Eigentümerkonglomerat irgendwie | |
investieren müsste. | |
Ein Spiel, das weitergespielt wird, solange Menschen höhere Mieten oder | |
Wohnungspreise bezahlen können – oder müssen. Alleinig zum Vorteil der | |
Eigentümer zerstört diese schräge Entwicklung auf Dauer das, was die | |
Lebendigkeit einer Stadt ausmacht. Der Fall des Kneipenkollektivs ist eine | |
kurze, warnende Episode in diesem Buch. In „X Properties“ spannen die drei | |
Autor:innen einen viel größeren Bogen, sie schauen in die Vergangenheit, | |
und auf ähnliche Situationen in anderen Ländern. Nur einen Ausblick in die | |
Zukunft machen sie nicht. | |
Dafür erzeugt die Gegenwart, die sich in den 156 Seiten dieses Buches | |
auftut, genug Unbehagen. Es gebe hierzulande Politiker, die sich dieser | |
Problemlage bewusst sind, doch nur wenige Parteien wollten sich diesem | |
Geschäftsgebaren von Immobilienunternehmen tatsächlich entgegenstellen. Was | |
dies für die Zukunft des städtischen Lebens in Berlin bedeutet? Nichts | |
Gutes wohl. | |
X Properties. Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt. No 11. | |
J. Franzbecker, N. Henning, F. Wüst (Hrsg.), 7 Euro, erhältlich unter | |
[2][www.eeclectic.de] | |
28 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Michael Freerix | |
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