# taz.de -- Mehr Spuren für mehr Stau | |
> Mit einer Datenanalyse zeigt Greenpeace, dass der Ausbau von Autobahne | |
> statt weniger sogar mehr Staus produziert. Ganz zu schweigen von den | |
> klimapolitischen Nachteilen | |
Von Stina Reichardt | |
Autobahnausbau führt zu mehr Stau. Das jedenfalls legt eine kürzlich | |
veröffentlichte Datenanalyse der Umweltschutzorganisation Greenpeace | |
Deutschland nahe. Autor*innen der Analyse sind Benjamin Gehrs, | |
Greenpeace-Campaigner für Verkehr, und die Umweltrechtlerin Lena Donat. | |
Für die Analyse haben sie anonymisierte Daten von Navigationsgeräten und | |
Smartphones ausgewertet, die von TomTom zur Verfügung gestellt wurden. | |
TomTom ist ein Hersteller von Navigationsgeräten, der auch Geodaten sammelt | |
und sie für die wissenschaftliche Auswertung zur Verfügung stellt. Gehrs | |
und Donat untersuchten acht Autobahnabschnitte, die zwischen 2010 und 2020 | |
ausgebaut wurden, und ihre Umgebung im Umkreis von jeweils 15 Kilometern. | |
Um die Auswirkungen des Ausbaus herauszufinden, betrachteten sie jeweils | |
die niedrigsten und die höchsten gefahrenen Geschwindigkeiten sowie die | |
allgemeine Durchschnittsgeschwindigkeit. Dann verglichen sie die Daten von | |
vor und nach dem Ausbau. Zur Analyse zogen sie Daten über private Pkw | |
heran. Eine separate Betrachtung von Last-, Nutz- und Privatverkehr sei auf | |
der Datengrundlage nicht möglich gewesen, hieß es. | |
Laut Analyse sind seit 1990 bundesweit 2.000 zusätzliche Kilometer Autobahn | |
gebaut worden. Die Anzahl der Staus hingegen hat sich allein zwischen 2010 | |
und 2019 verdreifacht. Ursache: Der Straßenverkehr hat im Vergleich zu 1991 | |
um etwa ein Drittel zugenommen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) | |
fordert deshalb einen weiteren Ausbau der Autobahnen. Er glaubt, damit die | |
Verkehrslage entspannen zu können. | |
Doch wie die Analyse nun vermuten lässt, führt eine Erweiterung um | |
zusätzliche Fahrspuren langfristig in vielen Fällen zu mehr Staus. Das | |
zeigt besonders deutlich die A7 zwischen Walsrode und Bad Fallingbostel. | |
Lag die Höchstgeschwindigkeit der langsamsten fünf Prozent der Pkw 2015 | |
noch bei 79,7 Stundenkilometern (km/h), waren es 2021 nur noch 77,9 km/h. | |
Das ist eine Geschwindigkeitsabnahme um 2,2 Prozent. Das kann laut Analyse | |
ein Hinweis darauf sein, dass es zu mehr Staus und stockendem Verkehr | |
kommt, weil mehr Fahrzeuge unterwegs sind. Diese Messwerte waren laut | |
Analyse besonders häufig zu Stoßzeiten. | |
Im Gegensatz dazu steht die Erhöhung der minimalen Geschwindigkeit der | |
schnellsten fünf Prozent der Pkw. Zwischen Walsrode und Bad Fallingbostel | |
nahm sie um satte 30,45 Prozent zu. Dabei handelte es sich allerdings | |
hauptsächlich um Verkehr außerhalb der Stoßzeiten, wenn also weniger Autos | |
unterwegs sind, aber durch Ausbau mehr Platz zur Verfügung steht. Menschen, | |
die gerne stärker auf das Gaspedal treten, kommen hier am meisten auf ihre | |
Kosten. | |
Doch die Stoßzeiten mit viel Verkehr sind das Problem, betonen Gehrs und | |
Donat. Je mehr Autos im Stau stehen, desto mehr CO2 wird auch ausgestoßen. | |
Die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges), die als | |
Projektmanagementgesellschaft des Bundes große Infrastrukturprojekte | |
durchführt, hatte noch im März 2021 in einer Pressemitteilung in Aussicht | |
gestellt, dass etwa der Ausbau der A23 zwischen Tornesch und dem Dreieck | |
Hamburg-Nordwest „mit positiven Wirkungen für das nachgeordnete Netz“ | |
verbunden wäre. Sie stützt sich allerdings nicht auf tatsächliche, sondern | |
auf prognostizierte Verkehrsdaten, nämlich die Modellrechnungen der ersten | |
Zwischenergebnisse einer Machbarkeitsstudie zum Ausbau der A23 in besagtem | |
Abschnitt. | |
Die Datenanalyse bringt nun diese Vorhersage ins Wanken. Denn in sechs von | |
acht untersuchten Fällen kam es ihr zufolge zu einer höheren Belastung der | |
Hauptverkehrsstraßen in der Umgebung des jeweiligen Autobahnabschnittes. | |
Ulf Evert, Koordinator der Deges für Projekte in Hamburg, | |
Schleswig-Holstein und Bremen, zeigt sich unbeeindruckt. „Ich bleibe | |
uneingeschränkt dabei. Ein Ausbau von Autobahnen verflüssigt den Verkehr | |
und hat somit positive Auswirkungen auf das umliegende Straßennetz.“ | |
Doch die wissenschaftliche Analyse zeigt, dass Autobahnausbau kurzfristig | |
zwar für Entlastung sorgt, es aber schon nach einem Jahr nach Beendigung | |
der Ausbauarbeiten starke Hinweise auf mehr Staus gibt. Dieses Phänomen | |
hatte in Deutschland zuerst der Mobilitätsforscher und -Blogger Martin | |
Randelhoff beschrieben. Inzwischen ist es in der Stauforschung als | |
„induzierter Verkehr“ ein fester Begriff. Klaus Bogenberger, Professor für | |
Verkehrstechnik an der TU München, hatte ihn zuletzt im Februar dieses | |
Jahres im Bayerischen Rundfunk beschrieben. Er entsteht durch die | |
zunehmende Attraktivität der Autobahnnutzung, die mit dem Ausbau | |
einhergeht. Dadurch nutzen mehr Menschen die Strecke als vor dem Ausbau | |
gedacht, und es kommt wieder zu Staus. | |
Im Fall der A7 zwischen Walsrode und Bad Fallingbostel ist zu beachten, | |
dass die Daten nach Abschluss der Arbeiten in den Coronajahren 2020 und | |
2021 erfasst wurden. In denen gab es weniger Verkehr als üblich. Gehrs und | |
Donat weisen darauf hin, dass die Engpässe auf dem Abschnitt unter normalen | |
Verkehrsbedingungen daher wohl noch größer sein dürften. Bogenberger | |
schlägt vor, statt eines Ausbaus besser das bestehende Straßennetz | |
effektiver zu nutzen und instand zu halten, um Engpässe zu beseitigen. | |
Auf Nachfrage ergänzt Benjamin Gehrs, dass ein stärkerer Autobahnausbau nur | |
zu längeren gefahrenen Strecken führe, weil Menschen dann verstärkt ins | |
Umland zögen, da sie ihr Ziel dann ja dank Autobahn schneller erreichen | |
könnten. | |
Noch ein weiterer Schluss lässt sich aus den Daten ziehen. In | |
Ballungsgebieten hat ein Ausbau der Autobahn selbst und in ihrem Umfeld | |
einen stärkeren negativen Effekt, das heißt, vermehrte Staubildung, als in | |
ländlichen Gebieten. Eine Ausnahme bildet die A9 zwischen Triptis und | |
Schleiz in Thüringen. Das ist der einzige untersuchte Autobahnabschnitt, an | |
dem sich durchweg die erwünschten, von der Deges versprochenen Auswirkungen | |
des Ausbaus auf den Verkehrsfluss zeigen. | |
Allerdings hält Gehrs auch in solchen Fällen den Ausbau nicht für klug – | |
aus klimapolitischen Erwägungen: Das Thema müsse sein, „wie wir den Verkehr | |
klima- und umweltfreundlich gestalten wollen. Da ist jeder Ausbau | |
schädlich.“ Er führe nicht dazu, dass Menschen auf andere Verkehrsmittel | |
umstiegen und fördere die Zersiedlung der Landschaft. Ziel müsse sein, | |
andere Möglichkeiten der Fortbewegung anzubieten. „Wenn die Bahn ausgebaut | |
wird, wäre ein Autobahnausbau nicht mehr nötig.“ | |
13 Mar 2023 | |
## AUTOREN | |
Stina Reichardt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |