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# taz.de -- „Der weibliche Blick kommt von unten“
> Sandra Kegel hat für den Band „Prosaische Passionen“ 101 Short Stories
> von Schriftstellerinnen und Dichterinnen der literarischen Moderne
> versammelt. Heute stellt sie das Buch in Hamburg vor
Bild: So bekannt wie sie sind nur wenige. Der Sammelband soll das ändern: Denk…
Interview Josephine von der Haar
taz: Frau Kegel, was macht die „weibliche Sicht auf die Welt“, die in den
Kurzgeschichten dargestellt wird, aus?
Sandra Kegel: Naja, es wird ja seit langem diskutiert, ob es eigentlich
einen spezifisch weiblichen Blick gibt. Darüber haben sich viele
Theoretikerinnen den Kopf zerbrochen und sind am Ende zu keiner Antwort
gekommen. Ich glaube, es ist schon so, dass Frauen durch die Position, die
sie in der Gesellschaft innehatten, keinen totalitären Anspruch an das
Schreiben hatten. Das gilt insbesondere für die vorletzte
Jahrhundertwende, in der die Texte ja erschienen sind. Und ich glaube, dass
ein weiblicher Blick – auch wenn das jetzt sehr verkürzt ist – einer ist,
der von unten kommt, aus einer etwas anderen, etwas verletzlicheren
Perspektive.
Worum geht es in den Texten?
Die Frauen hatten den Anspruch, ihre Geschichten zu erzählen. Sie wollten
selbst schreiben und sich nicht beschreiben lassen. Sie schreiben über
Themen, die spezifisch weiblich sind, aber es geht auch weit darüber
hinaus. Die Texte befassen sich auch mit Themen wie Rassismus, Klassismus.
Das fand ich wahnsinnig spannend, weil wir diese Themen ja heute immer noch
diskutieren.
Kann man heute noch von einem spezifisch weiblichen Blick sprechen?
Ja, das würde ich schon sagen. Die Themen unterscheiden sich nach wie vor.
Frauen befassen sich mit häuslichen Themen, die Männer einfach nicht
anfassen würden und mit Beziehungsthemen, die Männer nicht in der Weise
interessieren. Das ist jetzt alles pauschal, aber in der Themenauswahl gibt
es dennoch ein spezifisches weibliches Spektrum und auch in dem Blick auf
die Welt.
Was macht die Short Story für eine Anthologie zur weiblichen Moderne
interessant?
Auf der kurzen Strecke darf man sich keine Fehler erlauben, man kann sich
nicht verstecken. Die Short Story ist immer angreifend, sie geht immer
gegen die herrschenden Verhältnisse, sie hat ein total revolutionäres
Potenzial. Deswegen finde ich diese Form grundsätzlich interessant. Frauen
können dieser Form offenbar viel abgewinnen, sie haben eine besondere
Affinität zu dieser Form.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Texte ausgewählt?
Mich hat an dieser Arbeit so gereizt, nicht einfach die großen Ikonen zu
vereinen. Ich wollte zeigen, was damals alles los war – und zwar überall
auf der Welt. Selbst wenn heute in Verlagen und Jurys Frauen sitzen, sobald
man in die Vergangenheit schaut, sieht man, dass der Kanon ganz viel
aussortiert hat. Und das muss jetzt nachgearbeitet werden. Deswegen ist
diese Anthologie ein Angebot, den Kanon zu verändern und zu erweitern. Es
war aber auch ein Auswahlkriterium – neben dem Anspruch, Frauen abzudrucken
– dass es literarische Texte sein sollen. Diese Texte zu finden, war nicht
leicht. Es war für mich auch eine Art Feldforschung.
Viele Texte sind wahrscheinlich in Archiven gar nicht unbedingt zu finden.
Nein, die Frauen haben ja in äußerst prekären Verhältnissen gelebt oder sie
hatten einen Mann und mussten sich dann um Kinder und den Haushalt kümmern.
Also den berühmten Room of Ones Ownhatten sie nicht. Auch deshalb haben sie
Kurzgeschichten geschrieben. Außerdem hatten sie keine
Publikationsmöglichkeiten, weil sie an den Gatekeepern in den großen
Verlagen nicht vorbeikamen. Durch die veränderten Produktionsbedingungen
entstanden aber viele neue Magazine. Denen waren diese Autorinnen ganz
willkommen. So sind viele Texte in Magazinen erschienen. Zum Teil in ganz
berühmten wie der Vogue,aber zum Teil eben auch in Magazinen, die heute in
keiner Bibliothek mehr zu finden sind. Deswegen können Leser*innen in
dem Buch große Entdeckungen machen.
28 Feb 2023
## AUTOREN
Josephine von der Haar
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