# taz.de -- Geschönte Bilder | |
> Das Deutsche Historische Museum zeigt Industriefotografie aus dem | |
> geteilten Deutschland. Die Inszenierungen gleichen sich in den | |
> Selbstdarstellungen der Firmen aus dem Westen und der Betriebe aus dem | |
> Osten | |
Bild: Waschkaue, Ludwig Windstosser, Essen, um 1954, © Museum für Fotografie | |
Von Ronald Berg | |
Bertolt Brecht schreibt in seinem 1930 erschienenen „Dreigroschenroman“: | |
„Die Lage wird dadurch so kompliziert, dass weniger denn je eine einfache | |
‚Wiedergabe der Realität‘ etwas über die Realität aussagt. Eine | |
Photographie der Krupp-Werke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese | |
Institute.“ | |
Was Brecht anspricht, zielt auf jene Verhältnisse, die im Foto unsichtbar | |
bleiben, also etwa der Besitz an Produktionsmitteln. Die | |
Klassenverhältnisse eben, die sich der einfachen Sichtbarkeit entziehen, | |
wenn nur die Produktion in der Fabrik ins Visier der Fotokamera gerät. | |
Zumal wenn die Auftraggeber der sogenannten Industriefotografie in der | |
Regel die Unternehmen selbst sind. | |
Genau dieses fotografische Genre findet sich nun aber in der aktuellen | |
Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) mit dem Titel | |
„Fortschritt als Versprechen“. Der Titel verweist auf die Vorstellung, dass | |
mit der Industrialisierung ein Versprechen auf Fortschritt im Sinne von | |
Wohlstand und Verbesserung des Lebensstandards einhergeht. | |
Dass dieses Fortschrittsversprechen nur durch Ausblendung aller negativen | |
Aspekte der Industrieproduktion von Ausbeutung bis Umweltverschmutzung | |
postuliert werden konnte, machte die Fotografie – eingedenk des brechtschen | |
Diktums – vielleicht zum prädestinierten Medium zur Selbstdarstellung von | |
Industrieunternehmen. | |
Das gilt auch für das Bild der Betriebe in der DDR. Was hier im DHM auf | |
1.000 Quadratmetern für den Zeitraum zwischen 1945 und 1989 an | |
Industriefotografien aus Ost und West gegenübergestellt wird, unterscheidet | |
sich formal kaum voneinander. Es sind die immer gleichen Motive seit | |
Anbeginn der Industrialisierung: das Funken stiebende und rot glühende | |
Metall im Stahlwerk, die endlosen Reihen von Garnspulen in der | |
Textilfabrik, die bunt gefüllten Glaskolben im Labor des Chemiebetriebs | |
oder auch die herrlich glitzernden Automobilkarossen auf ihrem Weg durch | |
die Montagestraße in der Fabrik. Zuweilen kommen auch die immer fleißig | |
arbeitenden oder fröhlich dreinschauenden Arbeiter ins Bild, im Westen mehr | |
Männer als Frauen, im Osten öfter auch die werktätige Frau. Und: In der DDR | |
tauchten Fotos aus der Industrieproduktion sogar in Frauenzeitschriften | |
auf. | |
Im DHM lässt sich das nachverfolgen, denn die 680 Exponate – oft | |
Orginalabzüge, aber auch vergrößerte, eigens für die Ausstellung | |
angefertigte Digitaldrucke – werden begleitet von allerlei | |
(Druck‑)Materialien. Die Bilder aus der Industrieproduktion wurden ja | |
gebraucht für Konzernberichte, Messepräsentationen, Hauszeitschriften oder | |
Werbekampagnen für Kunden und zur Anwerbungen von Mitarbeitern. Das Bild | |
der industriellen Produktion war solchen Zwecken entsprechend geschönt. | |
Dennoch: Es lässt sich viel entdecken, und man kommt vielfach ins Stauen – | |
was oft von den Fotografen (gab es überhaupt Frauen darunter?) auch | |
beabsichtigt war: So bei den riesigen Dimensionen der Hochöfen im Stahlwerk | |
etwa, wo Menschen wie Staffage wirken. Überraschend auch der Blick auf | |
afrikanische Vertragsarbeiterinnen in der DDR, aber eher peinlich deren | |
Inszenierung zusammen mit Einheimischen in der Kantine, die wohl die | |
propagierte „Völkerfreundschaft“ belegen sollte. | |
Die von zwei hauseigenen Fotografie-Expertinnen besorgte Ausstellung im DHM | |
ordnet ihren Bestand nach Branchen. Nach einem Prolog über die | |
Steinkohleförderung geht es um Stahl‑, Textil‑, Chemie‑ und um | |
Automobilindustrie. | |
Die Ausstellungskonzeption stellt „ausgewählte Beispiele“ der jeweiligen | |
Branchen aus Ost und West einander gegenüber. Das liefert manche | |
Erkenntnis: Ob Opel oder Wartburg, die Automobilproduktion schaut in den | |
50er und 60er Jahren in Ost und West nicht sehr verschieden aus. Je weiter | |
die Zeit aber voranschreitet, desto deutlicher wird die relative Stagnation | |
im Osten: Produktionstechnik und Modelldesign verändern sich kaum noch. | |
Die Ausstellungsgestaltung hat sich übrigens selbst von den ästhetischen | |
Anmutungen der jeweiligen Industriebranchen inspirieren lassen. Im Kapitel | |
über den Stahl gibt es eine gleichsam „glühende“ Beleuchtung wie im | |
Stahlwerk, bei der (Stein‑)Kohleförderung geht es dunkel zu wie im Schacht. | |
Das alles ist – ähnlich wie auch die Fotos – hübsch gemacht. Womit zuglei… | |
die Frage auftaucht: Darf man die geschönte Selbstdarstellung der Industrie | |
einfach wiederholen? Brecht hätte das wohl verneint. Zumal das Versprechen | |
auf Fortschritt durch die industrielle Produktion inzwischen brüchig | |
geworden ist, man denke nur an die Umwelt‑ und Klimaschäden. | |
Mit Kritik hält sich das DHM indes zurück. Vielleicht, um nicht parteiisch | |
zu wirken? Als öffentliche Institution stünde es dem DHM tatsächlich nicht | |
gut an, wenn es einer pluralistischen Gesellschaft ein allzu einseitiges | |
Geschichtsbild nahelegen würde. | |
„Fortschritt als Versprechen“. DHM, bis 29. Mai, Mo. bis So. 10–18 Uhr, | |
www.dhm.de | |
13 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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