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# taz.de -- das wird: „Das Internet ist ein Ort, wo wirklich ungefiltert gesp…
> In der Reihe Satzwechsel liest Anna Yeliz Schentke in Bremen aus ihrem
> polyphonen Roman „Kangal“
Interview Josephine von der Haar
taz: Frau Schentke, in Ihrem Buch „Kangal“ geht es um politischen
Aktivismus in der Türkei. Wie machen sich die Repressionen durch die
Regierung bei den Protagonist*innen bemerkbar?
Anna Yeliz Schentke: Ich glaube, wichtig ist erst mal anzuerkennen, und das
spiegelt sich auch in den Figuren, dass je nach Lebenssituation und Kontext
ein sehr unterschiedlicher Umgang mit der Repression erfolgt, weil auch die
Repressionen sehr willkürlich sind. Somit unterscheidet sich die
Wahrnehmung von Gefahr und Angst total. Tekin und Dilek, die beiden
Protagonist*innen aus der Türkei, sehen beide die Gefahr, aber sie
haben einen unterschiedlichen Umgang damit.
Ayla, die in Deutschland aufwächst, kann es sich lange Zeit leisten,
unpolitisch zu sein.
Ja, bei Ayla ist es komplett konträr. Sie macht die Erfahrung in der Türkei
nicht. Ihr Blick aus Deutschland ist teilweise sehr verstellt oder geprägt
von den Leuten, die Dinge nur aus der Ferne mitbekommen. Es ist für sie
keine existenzielle Frage, sich mit Politik zu beschäftigen.
Wie wirkt sich das gegenseitige Misstrauen und die Angst im Sprechen der
Protagonist*innen aus?
Ein Prinzip ist, nur das zu sagen, was nötig ist und so zu sprechen, dass
Vieldeutigkeit zugelassen wird. Durch die Perspektiven, die ich gewählt
habe, in der wir auch die Gedankenwelt der Protagonist*innen
mitbekommen, wird uns als Leser*innen noch mehr eröffnet. Trotzdem ist
man konfrontiert mit dem Aufeinanderprallen der verschiedenen Perspektiven.
An manchen Stellen fehlen dann Informationen und eine Mehrdeutigkeit bleibt
stehen.
Welche Rolle spielen soziale Medien für den Protest in der Türkei?
Eine ziemlich große. Für meinen Roman ist die Bedeutung der Anonymität sehr
groß. Die führt dazu, dass Verknüpfungen und Verbindungen entstehen können,
wo sie normalerweise nicht möglich wären. Das Internet ist ein Ort, wo
wirklich ungefiltert gesprochen werden kann. Wenn Regime autoritär und
repressiv agieren, werden die Räume, an denen das möglich ist, immer
kleiner und drohen zu verschwinden. Zugleich können über das Internet
leicht Falschinformationen verbreitet werden. Die Kommunikation über
soziale Medien hat extreme Vor- und Nachteile.
Ihr Buch wird oft als politischer Roman bezeichnet. Teilen Sie diese
Einschätzung?
Womit ich mich nicht identifizieren würde, wäre die Annahme, dass das
Geschriebene eine bestimmte Position vermitteln soll. Mein Roman zeigt
vielmehr, und das macht ihn vielleicht politisch, Widersprüche und
Gegensätze auf und lässt die auch so stehen. Er hat nicht den Wunsch nach
einer Auflösung, sondern regt Gedanken über das Zusammenleben und das
Verhältnis zum Staat an.
Was kann ein Roman in dieser Hinsicht besser als andere Darstellungsformen?
Das ist eine große Frage. Man hat natürlich eine Fiktionsfreiheit, die eine
wesentlich größere Spanne an Möglichkeiten der Verwirrung,
Gegenüberstellung, Irritation bietet und die Sprache in gewisser Weise
materiell werden lässt. Literatur ist für mich dann gelungen, wenn diese
Form der Materialisierung von Sprache einen Effekt hat, der sich zu dem
verhält, was erzählt wird.
13 Feb 2023
## AUTOREN
Josephine von der Haar
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