# taz.de -- Verlassen der Unsichtbarkeit | |
> „On Violence“ heißt eine Diskursreihe im HAU, die sich mit dem Anstieg | |
> politischer und gesellschaftlicher Gewalt befasst. Die fünfte Ausgabe | |
> beleuchtete die Geschichte des Iran und seiner staatlichen Repression: | |
> „Iran – A Feminist Revolution and Beyond“ | |
Bild: Alte Zöpfe endlich abgeschnitten: Protestaktion von Exilanten vor dem ir… | |
Von Esther Slevogt | |
Zu den wesentlichen Merkmalen der „feministischen Revolution“ im Iran | |
gehört für die in Paris lebende und lehrende iranische Filmemacherin und | |
Anthropologin Chowra Makaremi der „Fall der Mauer der Angst“, die bisher | |
die iranische Gesellschaft lähmte und dem Regime ausgeliefert hat. Mit dem | |
Verlust der Angst hätten nun auch bisher als unübertretbar geltende rote | |
Linien und daran geknüpfte Tabus ihre Wirkmacht verloren. | |
Chowra Makaremi, 1980 kurz nach der islamischen Revolution im iranischen | |
Shiraz geboren, sprach auf einer Diskursveranstaltung im großen Saal des | |
HAU1, „Iran – A Feminist Revolution and Beyond“, wo sie einen Abriss der | |
Geschichte gab, wie diese „Mauer der Angst“ nach 1979 zunächst errichtet | |
und dann in einem langen Kampf der Frauen zum Einsturz gebracht wurde. | |
## Amīnīs Ermordung | |
Die seit dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsā Jîna Amīnī im September | |
2022 brennenden Verschleierungen würden als Bild zwar im Westen stets als | |
das „Aufbegehren“ der iranischen Frauen bewertet. Tatsächlich aber hätten | |
Frauen schon im Monat nach der islamischen Revolution 1979, die sich | |
plötzlich gegen sie und ihr Recht auf Selbstbestimmung richtete, zum ersten | |
Mal gegen die verhängten Verschleierungsvorschriften der neuen Herren | |
demonstriert: Am 8. März 1979 nämlich, wie die gerade in Utrecht | |
promovierende iranische Medienwissenschaftlerin und Aktivistin Nina Vahab | |
in ihrem Impulsvortrag noch einmal gesondert hervorhob. Sie widmete sich | |
dabei den strategischen Mitteln, mit denen die per Verschleierung in die | |
Unsichtbarkeit gezwungenen iranischen Frauen in den letzten Jahrzehnten | |
visuelle Räume eroberten und für die Schaffung von „gegenhegemonialen | |
Bildern“ nutzten. Der Abend „Iran – A Feminist Revolution and Beyond“, … | |
wichtiges Hintergrundwissen zu den aktuellen Ereignissen im Iran | |
vermittelte, stand im Kontext einer „On Violence“ überschriebenen | |
Diskursreihe vom HAU und der Akademie der Künste der Welt Köln. In der | |
Tradition der gleichnamigen Studie von Hannah Arendt ist die Reihe der | |
aktuell wachsenden Gewalt, sowohl im politischen als auch im | |
zivilgesellschaftlichen Diskurs, gewidmet. Dabei wird das Phänomen Gewalt | |
stets aus soziologischer, historischer oder philosophischer Sicht | |
beleuchtet – wie auch jetzt, im fünften Themenblock, der die Ereignisse im | |
Iran seit September 2022 einzuordnen versuchte. | |
Chowra Makaremi beschrieb in ihrem Vortrag eindringlich, wie in vier Phasen | |
seit 1979 die iranische Gesellschaft durch Gewalt und Repression geformt | |
worden sei – durch Einrichtung legaler, paralegaler und außerhalb jeder | |
Legalität operierender Staatsorgane. Sie selbst stammt aus einer Familie | |
von „Hingerichteten“, wie sie zu Anfang von Moderatorin Bahar Noorizadeh | |
vorgestellt wurde. Als wichtige Phase beschrieb Makaremi den | |
Iran-Irak-Krieg der 80er Jahre und die daraus entstandenen Dichotomien | |
Märtyrer – Feinde/Innen und Außen, die als Identitätsangebot das iranische | |
Weltbild seitdem stark geprägt hätten. Makaremi berichtete von | |
Massenfolterungen und -hinrichtungen, die damals etabliert worden wären. | |
Bilder von Hingerichteten seien täglich Teil der Hauptnachrichten gewesen – | |
und damit wichtiges Mittel beim „Social Engineering“, mit dem das Regime | |
das System der Repression und der Angst errichten konnte. Dies hätte, auch | |
wenn das Regime weiterhin foltere und morde, inzwischen seinen Schrecken | |
verloren, so Chowra Makaremis Einschätzung. Dass es Frauen sind, die dies | |
bewirkt und auf die Gesamtgesellschaft übertragen hätten, ist für Chowra | |
Makaremi auch ein Garant dafür, dass die patriarchalen Systeme der | |
Vergangenheit mittelfristig einem intersektionaleren Verständnis von | |
Gesellschaft weichen. | |
Mit auf dem Podium saß auch Kamran Matin, Assistenzprofessor für | |
internationale Beziehungen an der Universität Sussex in England und | |
iranischstämmiger Kurde, der die Vorreiterrolle der Kurden bei den | |
gegenwärtigen Unruhen im Iran thematisierte. Denn es sei kein Zufall, dass | |
der Tod einer jungen Kurdin Auslöser der Revolte war. Die um ihre | |
Unabhängigkeit kämpfenden Kurden seien schon immer national und damit | |
tendenziell säkular eingestellt gewesen. Das Recht auf Selbstbestimmung zu | |
erkämpfen sei nicht nur das Ziel der Frauen, sondern eben auch der Kurden. | |
Matin beschrieb die schwierige Rolle der Kurden als „Sandwich“ zwischen den | |
Mächten Osmanisches Reich und Persien im 19. Jahrhundert – zwischen den | |
mächtigen Mächten im Westen, England und Frankreich, und dem russischen | |
Zarenreich im Osten, sah gar Parallelen zu Deutschland und seinem Sonderweg | |
in den Faschismus. Und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass | |
besonders viele Kurden zuletzt auch zur Terrororganisation Isis stießen. | |
Und so war das Bild, das dieser Abend zeichnete, keineswegs eindeutig, aber | |
sehr lehr- und aufschlussreich. | |
9 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Esther Slevogt | |
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