# taz.de -- Quallen, die vom Himmel fallen | |
> Ein künstlerischer Blick auf den russischen Angriffskrieg: Das Haus am | |
> Lützowplatz zeigt in der Ausstellung „Früchte des Zorns“ Arbeiten vor | |
> allem aus der Ukraine | |
Bild: Alevtina Kakhidze, „Portraits of my mother/ Porträts meiner Mutter“,… | |
Von Martin Conrads | |
„Ukraine wird gewinnen – auch mit Waffen (das an Herrn Lederer – Linke)�… | |
Der ungelenke Eintrag im Gästebuch der Ausstellung stammt vom 19. Januar. | |
Der Angesprochene könnte das sogar gelesen haben, falls es ihm die große | |
Zahl von sich dicht an dicht drängenden Besucher:innen des | |
Eröffnungsabends gestattet hat, sich in den hinteren Bereich des | |
Kunstvereins durchzudrängeln. Gerade hat er eine kurze Ansprache gehalten. | |
Das Haus am Lützowplatz hat eingeladen: „Früchte des Zorns – Versuch einer | |
Annäherung: Ukraine“ ist die Ausstellung betitelt. Mit knapp zwanzig | |
Arbeiten von vor allem ukrainischen und deutschen Künstler:innen will | |
sie „die Auswirkung des Krieges auf den Einzelnen und die Gesellschaft mit | |
den Augen der KünstlerInnen zu sehen und zu verstehen“ geben. | |
Es erstaunt im Rückblick auf die letzten elf Monate, dass die Anzahl von | |
Ausstellungen, [1][die einen künstlerischen Blick auf den russischen | |
Angriffskrieg vorschlugen,] bisher überschaubar blieb, auch in Berlin. Das | |
mag das große Interesse zur Eröffnung erklären, bei der vor allem Deutsch, | |
Englisch und Ukrainisch zu hören ist. Dementsprechend richtet die deutsche | |
Ko-Kuratorin Kateryna Rietz-Rakul ihre Begrüßungsworte erst in | |
ukrainischer, dann in deutscher Sprache ans Publikum. Ihre ukrainische | |
Kollegin Eleonora Frolov erklärt, dass es im Rahmenprogramm Führungen in | |
allen drei Sprachen geben wird. | |
Die Kulturattachée der ukrainischen Botschaft, Alisa Podoliak, spricht | |
davon, dass man gegen den Hass mit Kultur und Kunst kämpfe und [2][dass die | |
Ukraine bereit sei, ihre Kultur zu verteidigen,] dass das Land zuallererst | |
aber Waffen benötige; der Senator für Kultur und Europa Lederer spricht | |
daraufhin von dem großen Respekt, den ihm die Realisierung dieser | |
Ausstellung durch die Kuratorinnen angesichts des verbrecherischen | |
Angriffskriegs abnötige (geht aber auf das „Zuallererst“ der | |
Kulturattachée, die Notwendigkeit Waffen zu erhalten, nicht ein). Mit | |
anderen Worten: allen Anwesenden ist bewusst, dass diese Ausstellung, dass | |
die gezeigten Werke auch eine politische Wirkung entfalten könnten. | |
Dabei verzichtet „Früchte des Zorns“ weitgehend auf Abbildungen des | |
Krieges, zeigt „keine direkten Bilder von Tod und Leiden“, wie die | |
Kuratorinnen hervorheben. Klugerweise scheinen sie nicht das Risiko | |
eingehen zu wollen, die gezeigte Kunst einem Propagandavorwurf ausgesetzt | |
sehen zu müssen. Und so beschäftigen sich die Arbeiten, von denen einige | |
bereits aus den Nuller- und Zehnerjahren stammen, auf indirekte und somit | |
teils eindrücklichere Weise, als es dies vermuten ließe, mit der aktuellen | |
Situation im Land, deren Ursprünge auch in der Zeit vor 2022, vor 2014 | |
liegen. | |
Lesia Khomenko hat im Jahr 2011 ein der sowjetischen Propaganda dienendes, | |
eine Szene angreifender Soldaten zeigendes Gemälde im Stil des | |
Sozialistischen Realismus aus dem Jahr 1947 in einer nur mit groben | |
Pinselstrichen ausgeführten, abstrahierenden Version nachgemalt. Dass sie | |
als Vorlage eine daneben ausgestellte fotografische Reproduktion des Bildes | |
aus einem „Ukrainische Malerei“ betitelten Buch von 1985 benutzt hat, zeigt | |
die Komplexität ihrer künstlerischen Aneignung auf. | |
Ein kurzes Video aus dem Jahr 2008 von Mykola Ridnyi, das unter dem | |
Eindruck des Kaukasuskrieges entstanden ist, zeigt wie von Flugzeugen | |
abgeworfene Quallen, die eine friedliche Küstenszenerie mehr und mehr | |
bedecken. Eine einfache Arbeit mit visueller Wucht. | |
Anders, nämlich dokumentarisch, argumentiert die Arbeit von Clemens von | |
Wedemeyer: Er kontrastiert Wehrmachtsfotografien aus Bachmut mit eigenen | |
dortigen Videoaufnahmen von 2021 und Bildmaterial der letzten Wochen, das | |
ihm zugeschickt wurde. Die Parallelen der Zerstörung sind offensichtlich, | |
die historischen Ereignisse und die aktuellen Bilder erschütternd. | |
Nicht nur, wer mit den Arbeiten des 2022 verstorbenen belgischen Künstlers | |
Steve Schepens bisher nicht vertraut war, wird sich über dessen Omnipräsenz | |
in der Ausstellung wundern. Zwar haben viele seiner hier gezeigten Arbeiten | |
einen Bezug zur Ukraine, aber die dominante Rolle, die seine vor allem | |
skulpturalen Werke (etwa: eine Panzersperre aus Neonröhren) in der | |
Ausstellung einnehmen, erschließt sich nicht. | |
Dass selbst der dem gleichnamigen Roman von John Steinbeck entlehnte | |
Ausstellungstitel (wie Steinbeck wollen Frolov und Rietz-Rakul „Geschichte | |
kommentieren, während sie stattfindet“) gleichzeitig der Titel einer Serie | |
von Schepens ist, macht es nicht besser. Eine größere Auswahl von Arbeiten | |
weiterer Künstler:innen hätte dieser einprägsamen Ausstellung nicht | |
geschadet. | |
„Früchte des Zorns – Versuch einer Annäherung: Ukraine“. Haus am | |
Lützowplatz, Di.–So. 11–18 Uhr, bis 19. März | |
26 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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