Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Im Anfang war das Schaf. Und das Schaf hieß Dolly
> Die taz verabschiedet sich von Wolfgang Löhr, Wissenschaftsredakteur von
> 1993 bis 2022, mit einem seiner Texte. 2008 schrieb Löhr über das Schaf
> Dolly und die Frage, ob bald auch Menschen geklont werden. Vielen Dank,
> Wolfgang!
Bild: Das an Arthritis erkrankte Klonschaf im Jahr 2002. Ein Jahr später starb…
Von Wolfgang Löhr
Mit dem Klonschaf Dolly fiel ein Dogma der Reproduktionsbiologie. Die
Herstellung einer genetischen Kopie von einem ausgewachsenen Säugetier galt
bis zu Dollys Geburt als nicht möglich. Erst wenige Jahre zuvor waren
aufwendige Versuche, erwachsene Mäuse zu klonen, erfolglos abgebrochen
worden.
Umso überraschter reagierten gerade Wissenschaftler auf die Nachricht von
Dollys Geburt, die erst mit siebenmonatiger Verspätung, im Februar 1997,
vom britischer Embryologen Ian Wilmut bekanntgegeben wurde. In den Medien
war dies weltweit die Spitzenmeldung.
Das Schaf, das nach der US-amerikanischen Country-Sängerin Dolly Parton
benannt worden ist, hat es geschafft, unsere Vorstellung von der Entstehung
eines Lebewesens grundlegend zu verändern.
Die Forscher um Ian Wilmut am schottischen Roslin-Institut hatten aus der
Euterzelle eines älteren Schafs die Erbinformation isoliert und sie in eine
zuvor entkernte Eizelle übertragen. Aus dieser Zelle entwickelte sich dann
ein Embryo, der von einem Muttertier ausgetragen wurde. Besonders effizient
war das Verfahren nicht: 227 Eizellen mussten die Forscher mit den aus
Euterzellen gewonnenen Zellkernen bestücken, um letztendlich ein Klontier,
nämlich Dolly, zu bekommen.
Das Kerntransferverfahren wurde vor Dolly schon zum Klonen von Säugetieren
erfolgreich angewendet. Die im Zellkern vorhandene Erbinformation wurde bei
diesen Experimenten aber immer aus Embryonen gewonnen. Es musste also immer
erst ein Embryo geschaffen werden – jedenfalls bis das aus einer Euterzelle
geklonte Schaf geboren wurde.
Dolly sorgte weltweit für Aufregung. Einerseits gab es sehr schnell von
Wissenschaftlern Heilsversprechungen, die auf der Dolly-Methode aufbauten.
So sollte das Dolly-Verfahren dazu genutzt werden, Ersatzorgane – Herz,
Leber oder Nieren – im Reagenzglas nachwachsen zu lassen. In
Horrorszenarien wurde aber auch ausgemalt, dass es jetzt möglich wäre, sich
einen genetisch identischen Doppelgänger zuzulegen – als Lieferant von
Ersatzteilen für defekte oder überalterte Körperteile. Der Vorteil: Da die
Gene identisch sind, werden die Ersatzteile vom Immunsystem nicht
abgestoßen. Der Spiegel brachte auf seinem Titel gar eine Reihe von
Hitlerklonen. Andere Medien, die nicht gleich so pessimistisch damit
umgehen wollten, bebilderten ihre Klon-Geschichten mit der vervielfachten
Marilyn Monroe.
Bisher noch können all diese Horrorvorstellungen, aber auch die
Heilsversprechungen, in das Reich der Wünsche und (Alb-)Träume eingeordnet
werden. Zwölf Jahre nach Dolly ist noch unklar, ob das Klonen jemals in die
medizinische Praxis Einzug halten wird. Bleibt nur das reproduktive Klonen.
Bei den Haus- und Nutztieren wird das reproduktive Klonen längst schon
kommerziell eingesetzt. So wurde in den USA vor Kurzem entschieden, dass
Klonfleisch sogar ohne Kennzeichnung als Lebensmittel vermarktet werden
darf. In der EU wird noch darüber gestritten: Die Lebensmittelbehörde Efsa
hat keine Bedenken, das EU-Parlament hingegen hat sich gegen die Zulassung
von Klonfleisch ausgesprochen.
Doch weitaus kontroverser ist das reproduktive Klonen beim Menschen. In der
Politik und auch unter den Wissenschaftlern gibt es zwar eine große
Mehrheit, die sich gegen das Menschenklonen ausspricht. Auch Ian Wilmut
sagte seinerzeit, dass er nie die Absicht gehabt habe, einen Menschen zu
klonen. Doch ein eindeutiges Verbot gibt es nur in wenigen Ländern. In
Deutschland ist in dem seit 1991 gültigen Embryonenschutzgesetz dieses
Verbot vorgesehen. Danach steht schon der Versuch unter Strafe, künstlich
einen menschlichen Embryo herzustellen, „der mit der gleichen
Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein
Verstorbener“ ausgestattet ist. In den USA ist zwar allen
Forschungseinrichtungen, die Fördermittel aus Washington erhalten, die
„verbrauchende Embryonenforschung“ untersagt, also auch das Klonen von
Menschen. Doch dieses Verbot gilt nicht für Forschungsinstitute und
Reproduktionskliniken, die nicht am Washingtoner Geldtopf hängen.
Etwas Aufklärung über den Stand des Menschenklonens brachte im vergangenen
Jahr eine Veröffentlichung des Reproduktionsbiologen Karl Oskar Illmensee
im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Illmensee
berichtet in dem von den deutschen und österreichischen Fachverbänden
herausgegebenen Journal, wie er zusammen mit Panayiotis Zavos die ersten
menschlichen Embryonen nach der Dolly-Methode klonte. Insgesamt sollen
sie versucht haben, fünf Menschen zu klonen. Illmensee galt einst an der
Genfer Universität als hoffnungsvoller Wissenschaftler. 1980 klonte er
erstmals aus embryonalen Mauszellen ein Tier. Später wurde ihm vorgeworfen,
diese Arbeiten seien gefälscht worden. Illmensee kündigte und ging an die
Universität Innsbruck. Der Fall Illmensee wurde jedoch von der Universität
Genf nie richtig aufgeklärt – zumindest gelangte nichts an die
Öffentlichkeit.
Bei den Experimenten im Jahr 2004, die vermutlich in einer Klinik von Zavos
in Kentucky durchgeführt wurden, will Illmensee erstmals einen geklonten
Embryo auf eine Frau übertragen haben. Den Embryo wollen die beiden
Forscher aus den Hautzellen eines Mannes und den Eizellen seiner Frau
hergestellt haben. Der Embryo soll sich bei der Frau jedoch nicht
eingenistet haben. Eine Schwangerschaft konnte nicht festgestellt werden,
hieß es. Sollten Illmensees Angaben stimmen, dann wären dies die ersten
Versuche gewesen, einen Menschen zu klonen. Vermutlich werden es auch nicht
die letzten gewesen sein.
30 Dec 2022
## AUTOREN
Wolfgang Löhr
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.