# taz.de -- taz🐾thema: Die hohe Kunst des Schenkens | |
> Was macht ein gutes Präsent aus? Dessen Wert bemisst sich natürlich nicht | |
> allein am Kaufpreis. Und wie wird ein Fauxpas beim Schenken umschifft? | |
> Wichtig ist dafür vor allem, seinen Mitmenschen gegenüber aufmerksam zu | |
> bleiben | |
Bild: Weihnachtsmuffel? In vielen von uns steckt ein griesgrämiger Grinch | |
Von Jana Janika Bach | |
Spätestens seit Jim Carrey den Grinch in Ron Howards Realverfilmung mit | |
Latex-Fell-Maske so schön grantig verkörperte, ist der kermitgrüne | |
Anti-Santa-Claus eine internationale Größe. Im US-Fernsehen läuft alle | |
Jahre wieder auch der Zeichentrick mit Boris Karloff von 1966, der | |
ebenfalls nach einer Vorlage des Autors Theodor „Dr. Seuss“ Geisel vom | |
grünen Griesgram erzählt, der die Weihnachtsfröhlichkeit der Whos nicht | |
ausstehen kann und ihnen deshalb die Geschenke klaut. | |
Heiligabend ohne Gaben? Kaum denkbar. Nicht bloß in Whoville, wo bis auf | |
den Grinch jeder das besinnlichste sämtlicher Feste liebt. Hierzulande | |
beschert das Weihnachtsgeschäft dem Einzelhandel jährlich einen Umsatz von | |
knapp 100 Milliarden Euro. | |
Hört man sich allerdings dieser Tage im Bekanntenkreis um, scheint die Welt | |
voller vermeintlicher Weihnachtshasser. Zuletzt stand Heiligabend unter | |
keinem guten Stern. Auch ohne Lockdown oder Energiekrise assoziieren viele | |
mit Weihnachten den Geschenke-Stress statt das Fest der Liebe. Wer jedoch | |
das kleine Einmaleins des Geschenke-Knigges beherzigt, kann etwas | |
glimpflicher durch die Adventstage kommen, ein Fiasko unterm Baum | |
verhindern. | |
Fettnäpfchen gibt es zuhauf. Denn Schenken ist eine Kunst. Eine Gabe | |
auszuwickeln, die nicht gefällt, ist dagegen unangenehm. Gründlich sollte | |
abgewogen werden, ob man dem dann auch Ausdruck verleiht, etwa um nicht bis | |
in die Ewigkeit das ungeliebtes Parfum zu erhalten. Ein gewisses Maß an | |
Ehrlichkeit ist verträglich. | |
Aber Obacht, immerhin handelt es sich bei Weihnachten um ein hoch | |
ritualisiertes Fest, bei dem den Beteiligten eine feste Rolle zukommt. | |
Überlegungen anzustellen, was im Paket steckt, freudige Überraschung zu | |
zeigen, gespielt oder echt, gehören dazu, wie sich zu bedanken. | |
Manch einer sieht darin ein lächerliches Arrangement, doch erfüllt dieses | |
Schenkungsritual einen Zweck. Glückt es reibungslos – Soziologen sprechen | |
von einem gelungenen „Impressionen-Management“ –, werden am Ende alle | |
belohnt, womöglich sogar mit wahrer Freude. | |
Damit dies gelingt, ist ein Hinein-Imaginieren essenziell; es hilft übers | |
Jahr aufmerksam zu sein und Ideen für Präsente aufzuschreiben. Oftmals | |
deuten Menschen an, was ihnen fehlt oder wonach sie sich sehnen. Ein Ersatz | |
für die vor Monaten zersprungene Vase kann mehr entzücken als etwas | |
Kostspieliges. Obendrein bleibt einem so das Loshetzen kurz vor | |
Toresschluss erspart. | |
Nicht in die Klischeekiste zu greifen, Nelken für die Dame oder Zigarren | |
für den Hausherrn, gebietet der gute Geschmack. Auch die Schachtel Pralinen | |
für den geliebten Partner, so der breite Konsens, ist einfallslos. | |
Peinlich wird es, wenn Grenzen überschritten werden, der Kardinalfehler des | |
Schenkens begangen wird, wie etwa bei der Unterwäsche, überreicht durch die | |
Schwiegereltern oder in Form eines Parfums für den Kollegen. Was für den | |
einen passt, erscheint anderswo als unangemessen. Ein Geschenk muss stets | |
dem Grad der Beziehung entsprechen. | |
Mitunter lässt es tief blicken. Was in einem Fall Wertschätzung ausdrückt, | |
kann in einem anderen Gleichgültigkeit sein, gar Verachtung. Nicht von | |
Ungefähr heißt es, ein Paar, das sich konstant mit Krawatten und Geschirr | |
beschenkt, kann seine Beziehung gleich beenden. Überhöht werden sollte so | |
ein Gegenstand nicht, doch spiegelt er durchaus wider: Stimmt es zwischen | |
uns oder nicht? | |
Während im Privaten beim Schenken die Fantasie mitmischen darf, so eine | |
Faustregel, birgt allzu Persönliches im beruflichen Umfeld Gefahren. In | |
beiden Bereichen gilt: Der Akt des Schenkens, der vermutlich so alt ist wie | |
die Menschheit, dient der gegenseitigen Anerkennung. | |
Schon in archaischen Gesellschaften wurden Gaben in komplizierten Ritualen | |
ausgetauscht, um Freundschaften zu festigen oder Frieden zu stiften. | |
Trotzdem hat sich die Kultur des Schenkens gewandelt. Im heutigen | |
Digitalzeitalter mit seinem schier unerschöpflichen Angebot liegt | |
Selbstgemachtes weiter im Trend, etwa ein gestrickter Pullover oder der | |
eigenhändig gezimmerte Schuhschrank. Hoch im Kurs steht auch Immaterielles, | |
alles, was nicht mit einem Klick über Amazon zu bestellen ist, wie | |
gemeinsam gestaltete Zeit. | |
Gleichwohl können auch Geldgeschenke oder Gutscheine, glanzvoll inszeniert, | |
niveauvoll sein. Das Modellauto kündigt das Spendieren des Führerscheins | |
an, ein Badetuch oder Bio-Arganöl wiederum den Besuch im Hamam. Für Kinder | |
eignet sich der Klassiker, das Sparschwein – aktuell soll es sogar eine | |
Renaissance erleben. Verpackungen, in die Zeit investiert wurde, stellen | |
einen Wert an sich dar. Und Stoff statt Papier zu verwenden, demonstriert | |
Umweltbewusstsein. | |
Welche Botschaft ich beim Schenken transportieren will, sollte gerade in | |
der Wirtschaft miteinkalkuliert werden. In Zeiten strengerer | |
Compliance-Regeln sind Feingefühl und Zurückhaltung geboten. Tabu ist, | |
Teures an die Geschäftspartnerin oder den Mitarbeiter zu vergeben. 35 Euro | |
pro Person und Jahr können Unternehmer als Betriebsausgabe absetzen, daran | |
lässt sich orientieren. | |
Mit einer Spende zu Weihnachten an eine gemeinnützige Organisationen | |
präsentiert sich eine Firma als verantwortlich agierender Akteur. | |
Bioprodukte aus der Region zu verschenken, fördert indes die | |
Nachhaltigkeit. Unter Kollegen zu wichteln, kann einander näherbringen, | |
hier zählen Geschenke mit symbolischen Charakter zwischen 5 Euro bis | |
maximal 20 Euro. Auch wer einen Fremden beschenkt, sollte preislich nicht | |
übertreiben, sondern auf Konsumierbares setzen, populär sind Trüffelöle, | |
Gin oder exotische Gewürze. | |
Idealiter zeugt eine Gabe von Stil und Charakter, lässt einen Wesenszug des | |
Nehmenden wie des Gebenden erkennen. Hans Bötticher alias Joachim | |
Ringelnatz brachte das in Versform auf den Punkt: „Schenke groß oder klein, | |
/ Aber immer gediegen. […] Schenke dabei / Was in dir wohnt / An Meinung, | |
Geschmack und Humor, […] Sei eingedenk, / Dass dein Geschenk / Du selber | |
bist.“ | |
Überhaupt geben „poetische Präsente“ ein erstklassiges Mitbringsel ab, um | |
selbst eingefleischte Weihnachtsmuffel auf die besinnlichen Tage | |
einzustimmen. Geraten sei da auch zu Geschichten von Hans Fallada, zwar | |
bekannt für seine sozialkritischen Werke, der als Familienvater Rudolf | |
Ditzen allerdings um den weihnachtlichen Zauber wusste und den „komischen | |
Brauch“ einfühlsam wie humoristisch ins rechte Licht rückte. | |
Schlussendlich muss selbst in Seuss Geisels Whoville trotz der | |
Machenschaften des Grinchs niemand auf die Bescherung verzichten. | |
19 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Jana Janika Bach | |
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