| # taz.de -- Frauen machen einen Aufschlag | |
| > Mit drei Autorinnengesprächen positioniert sich Hamburgs Literaturhaus | |
| > kommende Woche feministisch: Die Reihe „Aufschlag“ reflektiert | |
| > Möglichkeiten weiblichen Schreibens | |
| Bild: Ein guter Aufschlag kann einen Satz entscheiden: Beim Indiaca kann der Se… | |
| Von Josephine von der Haar | |
| Wie politisch ist Literatur? Sollte sie überhaupt politisch sein? Und was | |
| bedeutet es, feministische Literatur zu schreiben? An drei | |
| aufeinanderfolgenden Abenden widmet sich das Literaturhaus Hamburg in | |
| „literarisch-feministischen Begegnungen“ diesen und weiteren großen Fragen. | |
| „Wir wollen herausfinden, wie die drängenden Fragen unserer Zeit | |
| literarisch verhandelt werden können. Der Feminismus ist da ein wichtiges | |
| Thema“, sagt Carolin Löher vom Literaturhaus-Team. | |
| Löher hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Lena Dircks die Reihe organisiert. | |
| Das Programm rubriziert sie unter der sportlich-bibliophilen Metapher | |
| „Aufschlag“ und bezeichnet, ebenso doppeldeutig, die einzelnen Abende als | |
| „Sätze“ – eben wie in Tennis oder Volleyball. Die Belletristik der | |
| geladenen Autor*innen kann feministisch gelesen werden und bietet | |
| Anknüpfungspunkte für Diskussionen über Feminismus und Literatur, sagt | |
| Löher – auch wenn die Autorinnen nicht alle feministisch aktiv sind. „Wir | |
| wollen Autorinnen miteinander ins Gespräch bringen. Dabei soll es auch ums | |
| Schreiben und ums Autorinsein gehen, nicht nur um die Texte selbst“, sagt | |
| Löher. Die Veranstaltungen sind dabei nicht als Streitformat, sondern zum | |
| gemeinsamen Weiterdenken konzipiert. | |
| Unter dem Titel „Wut, Machtsysteme und Geschlechterbilder“ machen die | |
| Autorinnen Yael Inokai und Rumena Bužarovska den Anfang. In ihrem Roman | |
| „Ein simpler Eingriff“ erzählt Inokai von der Krankenschwester Meret, die | |
| Patientinnen betreut, an denen ein neuartiger Eingriff vorgenommen wird: Er | |
| soll Frauen von psychischen Störungen befreien, hat jedoch starke | |
| Nebenwirkungen. | |
| Meret verliert immer mehr den Glauben an die Medizin und sucht Halt in der | |
| Liebesbeziehung zu ihrer Zimmergenossin. Bužarovskas Roman „Mein Mann“ | |
| erschien bereits im vergangenen Jahr. In elf Erzählungen berichten | |
| Ich-Erzählerinnen von Varianten des Patriarchats, indem sie Portraits ihrer | |
| Männer entwerfen und dabei zugleich sich selbst, ihre Lebensentwürfe und | |
| Hoffnungen offenbaren. | |
| Die Titel der einzelnen Veranstaltungen vermitteln nicht nur den Inhalt des | |
| Autorinnengesprächs. Sie deuten auch auf Motive weiblichen Schreibens. „Es | |
| geht um das Zur-Frau-Gewordensein aufgrund gesellschaftlicher Bedingungen, | |
| nicht um Biologismus. Aufgrund ihrer Erfahrungen schreiben Frauen über | |
| andere Themen, andere Motive“, sagt Nicole Seifert. | |
| Sie ist Literaturwissenschaftlerin und hat in ihrem Sachbuch „Frauen | |
| Literatur“ die systematische und bis heute andauernde Abwertung weiblicher | |
| Literatur nachgezeichnet. Protagonistinnen, die über einengende | |
| Geschlechterstereotype wütend oder verrückt geworden sind, fänden sich | |
| häufig in Literatur von Frauen, sagt Seifert. „Wut ist eine Emotion, die | |
| Frauen aufgrund von Geschlechterbildern nicht zugestanden wird.“ | |
| Auch die Autofiktion ist eine Möglichkeit, „sich seiner bewusst zu werden | |
| und sich selbst zu verorten“, sagt Seifert. Die Autorin Daniela Dröscher | |
| stand mit ihrem autofiktionalen Roman „Lügen über meine Mutter“ zuletzt a… | |
| der Shortlist des Deutschen Buchpreises. In ihrem Roman erzählt das Kind | |
| Ela, wie ihre übergewichtige Mutter durch den Vater andauernd abgewertet | |
| und für das Scheitern des Aufstiegswunsches verantwortlich gemacht wird. | |
| Mit sozialer Klasse, dem Aufwachsen mit engen Geschlechterrollen und deren | |
| Einfluss auf Frau- und Muttersein beschäftigt sich auch die Autorin Camille | |
| Laurens in ihrem Roman „Es ist ein Mädchen“. Dröscher und Laurens treffen | |
| sich bei der zweiten Veranstaltung unter dem Titel „Autofiktion, | |
| Erinnerung, Selbstermächtigung“. | |
| Dass Erinnerungen, die das autofiktionale Schreiben bestimmen, immer nur | |
| Fragmente sind, ist auch am letzten der drei Abende ein Thema. Über | |
| „Fragmente, Fremdsein, Vielstimmigkeit“ sprechen die Autorinnen Deborah | |
| Levy und Simoné Goldschmidt-Lechner. Dabei berührt das Fragmentarische | |
| nicht nur Fragen von Erinnerung und Autofiktion, sondern charakterisiert | |
| auch die Ästhetik der beiden Romane. Bereits 1986 erschien Levys Buch | |
| „Schöne Mutanten“ in Großbritannien, in diesem Jahr ist es in der deutsch… | |
| Übersetzung erschienen. | |
| In kurzen Passagen blickt Levy dabei durch die Augen von | |
| Außenseiter*innen auf die Welt: Der russische Exilant Lapinski, die | |
| Dichterin, die am Fließband arbeitet, und die anorektische Anarchistin sind | |
| unter anderem Protagonist*innen ihres Romans. In ihrem Debütroman | |
| „Messer, Zungen“ widmet sich Goldschmidt-Lechner in 48 teils sehr kurzen | |
| Kapiteln ihrer Familienhistorie in Südafrika und den Leerstellen der | |
| Erinnerung. Beide Autorinnen verbindet ihre südafrikanische Herkunft, beide | |
| „verwerfen Eindeutigkeiten und schreiben in Bruchstücken, die nach und nach | |
| ein Ganzes entstehen lassen“, wie es in der Ankündigung heißt. Die | |
| feministische Perspektive ist dabei eine unter vielen.Neben inhaltlichen | |
| Debatten gehört zur Frage nach feministischer Literatur auch die der | |
| Repräsentanz. „Es ist großartig, dass Literatur von Frauen, Autor*innen | |
| of Colour und queere Autor*innen derzeit eine große Sichtbarkeit | |
| erfährt“, sagt Seifert. Jedoch werde diese Entwicklung immer noch als Trend | |
| wahrgenommen – „und Trends gehen vorbei“. Von einer nachhaltigen | |
| gesellschaftlichen Veränderung könne deshalb noch nicht gesprochen werden, | |
| sagt Seifert. Auch Löher findet: „Wir brauchen mehr Frauen und mehr | |
| Feminismus auf der Bühne.“ | |
| Ein Merkmal zieht sich durch alle drei Veranstaltungen: Es sprechen immer | |
| eine deutschsprachige und eine internationale Autorin miteinander. Aus | |
| ihren Büchern lesen sie dabei jeweils in ihrer Sprache, die Übersetzung | |
| wird schriftlich eingeblendet. „Wir wollen unterschiedliche Kontexte | |
| beleuchten“, sagt Löher, „und die Vielschichtigkeit feministischer | |
| Literatur sichtbar machen.“ | |
| 17 Nov 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Josephine von der Haar | |
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