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# taz.de -- Ausgehen und rumstehenvon Matthieu Praun: Das Bier darf mit in die …
Was macht eine Szene aus? Sind es wiederkehrende Events, ein fester
Personenkreis, die Abgrenzung gegenüber anderen oder eine bestimmte
Ästhetik? Berlin ist voller Gruppen, die diese Kriterien erfüllen. Ich habe
am Wochenende eine weitere entdeckt. Eine Szene, die viel undergroundiger
ist als jede von Touristen überlaufene Fetisch-Party. Sie besteht aus
Kollektiven, Wohnprojekten und passionierten Einzelpersonen, die regelmäßig
hohen Aufwand betreiben, um ein gemeinsames Hobby zu zelebrieren:
Schwitzen. Aber in links.
Den Verdacht, dass es in Berlin eine alternative Saunaszene gibt, hege ich
schon, seit ich im letzten Herbst zufällig das Saunasplash-Festival am
Plötzensee besucht habe. Meine Einstiegsdroge sozusagen. Erhärtet wurde der
Verdacht vergangenes Wochenende beim Badetal-Festival für experimentelle
Badekultur auf dem Gelände der Floating University. Ein ähnliches Publikum
und teils die gleichen selbstgebauten Saunen, das kann kein Zufall sein.
Vor allem aber dieselbe Vorstellung davon, wie Saunieren auch sein kann.
Nämlich ungezwungen.
Wer nackt sein will, zieht sich gleich am Eingang aus, Holz müssen alle
nachlegen, und das Bier darf mit in die Sauna. Es geht hier nicht um Detox,
am Schnapsstand gibt es die Auswahl zwischen Kräuter und Ingwer. Dieselbe
Energie, die im Sommer in die Organisation von Festivals und Raves fließt,
ist hier in ein beeindruckendes und liebevolles Event gesteckt worden.
Musik gibt es am Rand auch. Das Badetal ist aber kein Festival für jene,
die eigentlich zu alt für Festivals sind, das bloß nicht einsehen wollen.
Es ist eine Veranstaltung für junge Menschen, die eine andere Saunakultur
etablieren wollen. Mit Erfolg, denke ich, als ich in den holzbeheizten Pool
steige.
Als Quereinsteiger kann ich nicht beurteilen, wie lange diese Szene schon
existiert und wie groß sie ist. Im Gespräch mit Besuchern erfahre ich von
verschiedenen mehr oder weniger versteckten Orten in Berlin, an denen
regelmäßig alternativ sauniert wird. Ich sehe die Stadt, und vor allem den
kommenden Winter, mit anderen Augen. Das Bedürfnis nach einer anderen
Saunakultur kann ich gut verstehen. Berliner Saunen lassen sich nämlich in
die zwei Kategorien, „Willkommen im Tempel der Wellness, unwürdige
Erdenwürmer“ und „Tür zu, es zieht!“, einteilen. In ersterer trifft sich
das hippe Berlin zwischen Palmen und zusammengewürfelten Buddha-Statuen in
pseudobalinesischer Atmosphäre zum Entspannen. Wem das zu edel (und zu
teuer) ist, der muss sich in urigere Saunas trauen. Auf die Gefahr hin, von
Stammgästen zurechtgewiesen zu werden, weil die uralten mündlich
überlieferten Rituale missachtet wurden. Zwischen Vabali-Schick und
Eckkneipen-Sauna gibt es kaum Alternativen, Veranstaltungen wie das Badetal
Festival füllen daher eine Bedürfnislücke, die mir erst jetzt bewusst
geworden ist. Hier treffen sich alle, die gern schwitzen, ohne sich von
breitbeinigen Sauna-Platzhirschen anschnauzen zu lassen. Und denen wichtig
ist, dass es ein awareness-Team gibt. Wir starren einander nicht an, warum
ist das in Saunen eigentlich nicht Standard? Wo sich Menschen ausziehen,
kann es nicht schaden, ein paar Regeln festzulegen.
8 Nov 2022
## AUTOREN
Matthieu Praun
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