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# taz.de -- Ein Narzisst mit Billa-Sackerl
> Das Berliner Ensemble zeigt „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard in
> einer Inszenierung von Intendant Oliver Reese
Von Valentin Wölflmaier
Mit Rotz und Tränen versucht die Wiener Schauspielerin Stefanie Reinsperger
die psychologischen Tiefen ihrer Rolle als Bruscon auszuleuchten. Sogar
einen Psychosomatiker hat Regisseur Oliver Reese laut Programmheft zu den
Proben ans Berliner Ensemble geholt, um den Narzissmus der Titelfigur in
Thomas Bernhards „Theatermacher“ zu ergründen. Bei der Künstlichkeit, die
die Figuren Bernhards ausmacht, wenn sie in purer Sprachgewalt
verabsolutieren und schimpfen, kommt man damit leider nicht allzu weit.
Passieren tut, wie so oft bei Bernhard, recht wenig: Der herrschsüchtige
Theatermacher Bruscon landet mit seiner Schauspieltruppe im Provinznest
Utzbach, das den Ansprüchen seiner „Jahrhundertkomödie“ – in dem immerh…
Caesar, Napoleon, Churchill, Stalin und Hitler auftreten – nicht ganz
gerecht zu werden scheint. Im heruntergekommenen Tanzsaal monologisiert
Bruscon über sein Theater und die Menschennatur, kommandiert Frau und
Kinder herum (die Armen sind seine Schauspieltruppe) und lässt sich vom
Wirt versichern, dass das Notlicht in der Schlussszene abgestellt werde.
Immer näher rückt so das eigentliche Stück im Stück, dem am Ende aber ein
Gewitter zuvorkommt.
Toll ist das bei Bernhard deshalb, weil in der völligen Überzeichnung eines
größenwahnsinnigen, eitlen und misogynen Theatermachers eine Feier des
Theatralen steckt. Sein absoluter Kunstanspruch steht im Gegensatz zu den
Bedingungen, die er in Utzbach vorfindet („absolute Kulturlosigkeit“); eine
Fallhöhe, die auch komisches Potential in sich birgt. Andererseits ist es
genau dieses Bernhard’sche Nörgeln, Behaupten und Übertreiben, das aus
einer bloßen Karikatur Weltliteratur macht.
So viel zu den „Worten“. Wir nie zufriedenzustellenden
„Inkompetenzschmierer“ hätten uns ja nur „auf das stumpfsinnige Schauen
verlegt“, wie Bruscon es so schön von der Kritikerzunft behauptet. Was gab
es aber zu sehen am Berliner Ensemble? Ums kurz zu machen: Ungefähr das,
wovon Bruscon im Text auch sagt, dass es zu sehen ist. Die Bühne ist ein
guckkastenmäßig gebauter Gemeindesaal, samt Spinnweben und übrig
gebliebenen Partygirlanden über den morschen Theaterbrettern und einem grün
leuchtenden Notlicht in der Ecke.
Das passt zwar zum Versuch, sich der Figur Bruscons als einem psychologisch
realistischen Individuum zu nähern, trägt aber auch dazu bei, dass die
Inszenierung nicht mehr in der Lage ist, die Magie des sprachlich
fulminanten Bernhard-Texts zu transportieren. Erst recht nicht, wenn man
sich ansonsten auf fantasielose Routine verlässt. Aus dem herrlich
selbstverblendeten Übertreibungskünstler wird am Berliner Ensemble ein
verwahrloster Widerling, den man – so die Idee – auslachen soll, wenn er
heimlich Klopapierrollen in seinem Billa-Sackerl verschwinden lässt. Die
für Bernhards Sprache typischen Redundanzen verkommen zum
therapiebedürftigen Syndrom.
Auch die misogynen Ausfälle Bruscons sind in der Folge, trotz weiblicher
Besetzung, vor allem unangenehm. Um das aufzufangen, verdreht Tochter Sarah
(Dana Herfurth) immer wieder demonstrativ die Augen und Frau Bruscon
(Christine Schönfeld) hustet und lacht ganz besonders widerstandsvoll.
Zwischendurch packen Bruscon in der Interpretation Reinspergers auch
Selbstzweifel. Die Tränen, die sie dabei vergießt, lassen einen phasenweise
mitleiden mit der Figur. Doch sobald Reinsperger versucht, das mit
Bernhards Text in Einklang zu bringen, wird einem der Widerspruch wieder
bewusst zwischen der theatral wirkmächtigen (Sprach-)Künstlichkeit des
Bernhard-Typus Bruscons und diesem bedeutungslosen Narzissten, der seine
Familie durch die Provinz gängelt.
24 Oct 2022
## AUTOREN
Valentin Wölflmaier
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