# taz.de -- kritisch gesehen: Bremen zeigt die große Oper der Politik | |
Kennt nicht jeder, ist auch undankbar, weil die Smash-Hits fehlen. Ist aber | |
trotzdem Giuseppe Verdis tollste Oper, die jetzt in Bremen zum | |
Saisonauftakt und zum Einstand des neuen Leitenden Regisseurs Frank | |
Hilbrich Premiere hatte: In „Don Carlo“, nach Schiller, aber schlau | |
zugespitzt durch die geisterhafte Figur des abgedankten Großpapas Kaiser | |
Karl V. und effektvoll brutalisiert durch eine Ketzerverbrennung, singt und | |
tönt die Tragödie der Macht: Sensationelle Chöre, perfekt von Alice | |
Meregaglia geleitet, ordnen sich ihr unter und stabilisieren sie so. Es ist | |
die große Oper der Politik, getragen von einem Orchester, das unter | |
Generalmusikdirektor Marko Letonja rücksichtslos klar musiziert. | |
Und zwar erfasst die Oper deren Drama als doppelten erotischen und | |
ideologischen Vater-Sohn-Konflikt zwischen König Philipp II. und seinem | |
designierten Nachfolger, der Titelfigur halt, dem Infanten Don Carlo, | |
gesungen von Luis Olivares Sandoval, ein Tenor, der alle zum Schmelzen | |
bringt – leider im Laufe des Abends auch ein wenig seine eigene Stimme. | |
Alle müssen ihn lieben: Erst mal natürlich Élisabeth de Valois, seine | |
Ex-Verlobte, die, um Frankreichs Herrscherfamilie direkter anzubinden, | |
Philipp heiraten musste. An ihren innigen Gefühlen lässt Sarah-Jane | |
Brandons sensationeller Einstand als Ensemblemitglied in Bremen keinen | |
Zweifel. Und ja doch, auch Rodrigo, Marquis von Posa, der Einzige an | |
Spaniens Hof, dem der Herrscher vertraut, ist Carlos’treuer Freund. Total | |
happy ist er – und Michał Partykas strahlendem Bariton glaubt man das in | |
der furiosen Sterbe-Arie ohne Weiteres –, für ihn in den Tod zu gehen. | |
Kurz: Eigentlich wäre der König chancenlos. | |
Also löst er die Probleme mit Gewalt. Und zwar mit der wohlüberlegten, | |
unwiderstehlichen Gewalt von Patrick Zielkes Bass: Von Alexandre Corazzola | |
in ein nüchtern schwarzes Gewand gehüllt, inkarniert er, mit klarer, | |
sparsamer Gestik und immer wieder verblüffendem, stimmlichem Volumen | |
Strenge und Herrschaft. Dagegen kommt keiner an, auch nicht Gaststar Taras | |
Shtonda, der es dramaturgisch sollte, aber in den extremen Tiefen der | |
Großinquisitoren-Partie schwächelt. | |
Wo bei Friedrich Schiller die Moralpunkte klar verteilt sind, erzeugt | |
Verdis Musik Ambivalenz: Kann, wer schön singt, böse sein? Ist denn das | |
herrschende Wissen – Bühnenbildnerin Katrin Connan hat eine babylonische | |
Bibliothek als Spielort geschaffen – so sehr Schuld, wie es Macht ist? | |
Gewaltsam umgedeutet wird dabei allenfalls der [1][Stoßseufzer aus Heinrich | |
Heines Börne-Denkschrift], nach dem Freiheit – er sieht in ihr die Ursache | |
rassistischer Lynchjustiz in den USA – ein böser Traum wäre. Hilbrich | |
stellt ihn dem Abend als eine Art Motto voran, um dann schlüssig, mit | |
feinem Ohr für die Zwischentöne der Komposition, die Figuren durch eine | |
Welt zu führen, in der ganz im Gegenteil verbindliche Regeln als Schrift | |
jeden Freiheitstraum böse scheitern lassen. Herrlich. Benno Schirrmeister | |
Nächste Aufführungen: 24. 9., 18 Uhr; 30. 9., 19 Uhr; Theater Bremen, | |
Großes Haus | |
22 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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