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# taz.de -- Wo Geschichte konkret erfahren wird
> Dem israelischen Dramatiker Hanoch Levin galt eine szenische Lesung
> seiner Dramen in deutscher Erstübersetzung
Von Valentin Wölflmaier
Verstehen kann man es nicht, warum der Dramatiker Hanoch Levin in
Deutschland bislang kaum bekannt, geschweige denn gespielt wurde. Levin
gehört zu den Klassikern des modernen israelischen Theaters. Unfassbare 62
Stücke hat er von 1968 bis kurz vor seinem Tod 1999 geschrieben, 33 wurden
aufgeführt, 21 in seiner Regie, also im Schnitt mehr als eines pro Jahr.
Ohne Levin sei das israelische Theater nach 1967 nicht zu denken, schreibt
auch Übersetzer Matthias Naumann im Vorwort des Bandes „Die im Dunkeln
gehen“, mit Erstübersetzungen von sechs Stücken Levins. In der Reihe
„panorama #2: übertheaterübersetzen“ des Vereins Drama Panorama wurde das
Buch unter der Überschrift „Übersetzung und politisches Theater“ im Engli…
Theatre Berlin präsentiert. In einer szenischen Lesung (eingerichtet von
Johannes Wenzel) konnte man vier Dramen Levins kennenlernen, dazwischen
sprach Veranstalterin Barbora Schnelle mit dem israelischen
Theaterwissenschaftler Freddie Rokem und dem Dramaturgen Lutz Keßler, der
die deutsche Erstaufführung von Levins bekanntestem Stück „Das Kind träumt…
begleitet hat.
Das ist auch das erste Stück, aus dem gelesen wird. Zunächst auf Hebräisch
spricht der Schauspieler Ariel Nil Levy den Monolog eines „Begeisterten
Reisenden“, der hofft, auf einer Insel Asyl zu bekommen: „Würde ich heute
Morgen gefragt, wie/ die Hoffnung des Menschen aussieht, sagte ich:/ Ein
Beamter um Viertel nach acht!“, endet der Monolog auf Deutsch. Das Stück
erzählt die Fluchtgeschichte einer Mutter und ihres Kindes. Historischer
Hintergrund ist die Irrfahrt der „St. Louis“ von 1939. Doch Levin löst das
Geschehen aus dem konkreten historischen Kontext und verfremdet es so, dass
es universal anknüpfbar wird.
Damit ist Levins Theater politisch fast im Brecht’schen Sinn. Meistens
wissen die Figuren sehr genau um die Misslichkeit ihrer Lage, aber das
hilft ihnen wenig, was oft eine bittere Ironie erzeugt. Etwa, wenn die
Mutter (Almut Zilcher) die Chance der anwesenden Journalisten nutzt, um ihr
Kind auf die Insel zu bringen, auch wenn das Trennung bedeutet: „Mein Sohn,
mein geliebtes Kind, dir lacht das Glück,/der Herrscher der Insel ist ein
genügend großer Mörder,/ dass er für sein Ansehen in der Weltpresse /das
Bild eines geretteten Kindes in seinen Armen braucht.“
In „Hiobs Leiden“ kombiniert Levin den biblischen Mythos mit einer
zentralen Prämisse des Existenzialismus: dass Gott nämlich tot ist. Als der
schon gepfählte Hiob seinen Freunden nachruft, sie sollen ihn doch nicht
alleine lassen mit Gott, wird die Absurdität seines Leidens besonders
augenscheinlich. Endgültig bei Beckett angelangt ist man dann mit dem für
den Band titelgebenden Stück „Die im Dunkeln gehen“, in dem ein „Gehende…
ein „Wartender“ und ein „Entwischender“ auftreten.
Levin scheint in einer europäischen Tradition zu schreiben, reichert diese
aber mit der schonungslosen Perspektivierung auf ihre Opfer an. Was die
historische Entkontextualisierung seines politischen Theaters auch immer
schafft, ist eine Fokussierung auf das Zwischenmenschliche, dort, wo
Geschichte konkret erfahren wird. Umso erstaunlicher ist es, dass er gerade
in Deutschland so wenig rezipiert wurde. Ob Matthias Naumanns Übersetzungen
einen Grundstein dafür legen können, das zu ändern, bleibt abzuwarten.
Bemerkenswert ist die Initiative allemal.
Im Oktober folgt die Fortsetzung der vom Deutschen Übersetzerfonds und
anderen geförderten Reihe, dann mit dem Schwerpunkt „Neue Dramatik in Polen
– Belarus – Ukraine“.
29 Sep 2022
## AUTOREN
Valentin Wölflmaier
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