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> Die Alfred Ehrhardt Stiftung feiert ihr 20-jähriges Jubiläum und die | |
> sachliche Fotografie ihres Namensgebers | |
Bild: So schön und sachlich, dass es wieder unpolitisch war: Alfred Ehrhardts … | |
Von Ronald Berg | |
Es widerfährt nur wenigen Fotografen, dass ihr Lebenswerk Anlass zur | |
Gründung einer Stiftung wird. Wenn es doch passiert, dann ähnelt die Arbeit | |
einer solchen Stiftung den klassischen Aufgaben eines Museums: bewahren, | |
erforschen, ausstellen. | |
Die 2002 gegründete Alfred Ehrhardt Stiftung (AES) befand sich zunächst im | |
selben Haus in Köln wie die Stiftung „Fotografie und Kunstwissenschaft“. | |
Von Ann und Jürgen Wilde ein Jahr zuvor gegründet, ging es dort um Karl | |
Blossfeldt und Albert Renger-Patzsch, zwei thematisch verwandte Fotografen. | |
Auch Alfred Ehrhardt (1901–1984) gehört in das Umfeld der Neuen | |
Sachlichkeit, die in den 1920er Jahren entstand. | |
Christiane Stahl – bis heute erste und einzige Direktorin der AES – | |
bekennt, im Umgang mit Ehrhardts über 20.000 Abzügen und 13.000 Negativen | |
viel von den Wildes gelernt zu haben. Bereits 1972 hatte das Paar in Köln | |
eine der ersten Fotogalerien Europas eröffnet. | |
Doch zur Gründung und zum Betrieb einer Stiftung, die wie ein Museum | |
arbeitet, braucht es neben Sachverstand vor allem Geld. Ohne die ständig | |
neu aufgefüllten Kapitalmittel durch den Sohn von Alfred Ehrhardt, dem | |
Münchener Vermögensverwalter Jens Ehrhardt, hätte es weder die AES gegeben, | |
noch würde sie bis heute arbeiten können. | |
Das führt die aktuelle Jubiläumsschau der Stiftung in der 2008 bezogenen | |
Adresse in der Berliner Auguststraße vor. Immerhin zählte die AES – bevor | |
Corona kam – rund 20.000 Besucher im Jahr. Seit 2002 waren 70 Ausstellungen | |
zu sehen. Nicht nur zum Werk von Ehrhardt, die AES präsentiert auch | |
zeitgenössische Fotografie, die sich im weitesten Sinne mit Ehrhardts | |
zentralem Thema der „Natur“ befasst. | |
Auch in der aktuellen Schau kommt das Thema natürlich vor. Die AES nutzt | |
die Gelegenheit, überdies Einblicke auf bislang unbekannte Bestände von | |
Ehrhardt zu geben. Dabei rücken Christiane Stahl und ihre drei Ko‑ | |
Kuratorinnen auch die Forschung an der Fotografie ins Licht, die ja sonst | |
eher im Verborgenen passiert. | |
## Die Nazis ließen ihn gewähren | |
Ehrhardts bekannteste Aufnahmen sind sicher die vom „Watt“. Das Buch „Das | |
Watt“ über die vielgestaltigen Formen der Schlicklandschaft an der | |
norddeutschen Küste erschien mitten in der Nazi-Zeit, 1936 gab es dazu in | |
Hamburg eine Ausstellung. Die Fotos fanden enormen Anklang – trotz oder | |
gerade wegen der seinerzeit ungewöhnlichen Formsprache. Ehrhardt zeigte nur | |
grafische Strukturen, meist ohne Horizont oder stimmungsvollen | |
Wolkenhimmel. Stattdessen entdeckte Ehrhardt Formen, die an Blattadern | |
erinnern, an Vogelfedern oder Wüstendünen. | |
Bemerkenswert war Ehrhardts Erfolg beim Publikum auch deshalb, weil er nach | |
der Machtergreifung der Nazis als Lehrer an der Landeskunstschule Hamburg | |
entlassen wurde. Es genügte der Umstand, dass Ehrhardt die Lehr‑ und | |
Gestaltungsprinzipien, die er selbst in den Jahren 1928/29 als Student am | |
Bauhaus kennengelernt hatte, in seinem eigenen Kunst- Unterricht zur | |
Anwendung brachte. Es erstaunt deshalb, dass Ehrhardt mit seinen | |
„Watt“-Fotos eine abstrakte Formensprache fortsetzen konnte, die sonst im | |
NS-Kunstbetrieb tabu war. Da seine Kamera aber getreulich die Natur | |
wiedergab, ließ man ihn gewähren. Zumal Ehrhardts Haltung unpolitisch war | |
und an romantische Vorstellungen von Urformen anschloss. | |
Die AES konzentriert sich beim „Watt“ nun aber auf die verschiedenen | |
Darbietungsformen des Fotografischen: So etwa in diversen Buchausgaben, die | |
in der Aufmachung variieren. Das Buch wurde mehrfach auch nach dem Krieg | |
noch aufgelegt. Zudem wird mit den in Größe und Technik variierenden | |
Abzügen zum „Watt“ deutlich, dass in der Fotografie der Begriff des | |
Originals problematisch wird. | |
Am ehesten noch greift die Originalidee beim fotografischen Negativ. Auch | |
ihm ist ein Kapitel gewidmet, dass nicht nur Ehrhardts verschiedenen Glas‑ | |
und Zelluloidträger vorführt, sondern auch erklärt, was man aus ihnen an | |
Informationen herausliest. | |
Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Vergleich von Malerei mit der | |
Fotografie bei Ehrhardt. Seine frühen Gemälde mit abstrahierten Küsten‑, | |
See‑ und Schiffsmotiven – bislang nie ausgestellt – präludieren bereits | |
sein fotografisches Werk. Das wiederum wäre wohl kaum entstanden ohne das | |
Berufsverbot als Kunstlehrer durch die Nazis, wie in der Folge die vielen | |
Kulturfilme, die Ehrhardt bis in die siebziger Jahre gedrehte. Ein kleiner | |
Zusammenschnitt dieser seinerzeit im Kinovorprogramm gezeigten Kurzfilme | |
ist ebenso Teil der Jubiläumsschau. | |
Mit einem erst jüngst entdeckten Fund aus dem Nachlass schließt die Schau. | |
„Deutschlandfahrt 49“ ist eine nie veröffentlichte Reportage aus | |
Nachkriegsdeutschland, in der Ehrhardt seine neusachliche Bildsprache bei | |
Aufnahmen von Landschaften und Industrieanlagen mit einfließen lässt. | |
Es scheint also, dass es bei Ehrhardt an Forschungsaufgaben selbst nach 20 | |
Jahren nicht mangelt. | |
„20 Jahre Alfred Ehrhardt Stiftung – Fotografie Film Malerei Zeichnung“, | |
Auguststr. 75, bis 23. Dezember | |
20 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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