# taz.de -- „Wir wollen schauen, was wir voneinander lernen können“ | |
> Das Festival „Multitude“ in Hannover sucht mit Theater, Performances, | |
> Diskussionen und Workshops nach Möglichkeiten für feministische und | |
> intersektionale Solidarität. Für eine gemeinsame Praxis braucht es | |
> unterschiedliche Positionierungen, findet Festivalmacherin Katharina | |
> Wisotzki | |
Bild: Gemeinsam, auch wenn alle ihre eigene Position haben: Szene aus dem Video… | |
Interview Josephine von der Haar | |
taz: Frau Wisotzki, warum braucht Hannover ein feministisches Festival? | |
Katharina Wisotzki: Ich glaube jede Stadt und jedes Dorf braucht ein | |
feministisches Festival! Ich hatte hier am Pavillon die Möglichkeit, etwas | |
Neues zu kreieren. Angesichts der vielen feministischen Kämpfe, die in den | |
letzten Jahren noch mal präsenter geworden sind, finde ich es wichtig, dass | |
sich ein Kultur- und Theaterfestival thematisch damit auseinandersetzt und | |
sich darauf auch strukturell einstellt. | |
Was bedeutet der Begriff „Multitude“, nach dem das Festival benannt ist? | |
In der politischen Philosophie bezeichnet der Begriff eine Gruppe oder | |
Gesellschaft, in der Personen nicht gleich sein müssen und trotzdem | |
gemeinsam handeln können. Das ist der Leitgedanke des Festivals: | |
Verschiedene feministische Personen und Kämpfe müssen nicht gleich sein, | |
aber können trotzdem eine gemeinsame Stoßrichtung haben. | |
Wie äußert sich das beim Festival? | |
Wir arbeiten zum Beispiel mit verschiedenen Menschen zusammen, die sich als | |
feministisch verstehen. Oder mit Menschen, die sich das Label zwar selber | |
nicht geben, aber deren künstlerische oder politische Arbeit wir spannend | |
finden. Vor allem heißt das aber, dass wir intersektional denken. Also dass | |
wir Feminismus nicht nur als weißen Feminismus von bürgerlichen Frauen | |
verstehen, sondern verschiedene Perspektiven einbeziehen: migrantisch, | |
queer, trans. In diesem Jahr ist unser Thema „Generationen“. Das heißt, wir | |
versuchen Kämpfe aus verschiedenen Generationen einzubeziehen. | |
Was reizt Sie am Thema Generation aus feministischer Perspektive? | |
Ich finde, das ist für die Frage des gemeinsamen Handelns sehr wichtig. Es | |
gibt viele Feminist*innen, die vor mir und meiner Generation wichtige | |
Kämpfe gekämpft und spannende Organisationsformen gefunden haben. Und | |
leider sind viele Kämpfe, wie das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung, | |
immer noch total aktuell. Und gleichzeitig in die Zukunft zu gucken und zu | |
sehen: Es gibt junge Leute, die mit ganz neuen Themen und Ansprüchen | |
kommen. Wir wollen schauen, was wir voneinander lernen können. | |
Auch die Formate zeichnen sich durch Vielfältigkeit aus – Performance, | |
Lesung, Workshop. Wieso ist es Ihnen wichtig, die verschiedenen | |
Darstellungsformen zusammenzubringen? | |
Für verschiedene Inhalte und Personen sind unterschiedliche Formate | |
geeignet. Deshalb ist es mir wichtig, ein Festival zu machen, das | |
verschiedene Zugänge bietet, verschiedenen Denkweisen Raum gibt. Und dabei | |
auch künstlerisch flexibel ist. Die Form muss dem Inhalt angemessen sein. | |
Was können künstlerische Darstellungsformen zu politischen | |
Auseinandersetzungen um feministische und intersektionale Solidarität | |
beitragen? | |
Die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Politik ist ja eine | |
Grundsatzfrage. Ich denke, dass alle Kunst politisch ist. Man verhält sich | |
ja automatisch zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Und ich finde, dass | |
künstlerische Arbeiten das Potenzial haben, Fragen noch mal anders zu | |
verhandeln – komplexer, emotionaler – und nicht immer eindeutige Antworten | |
geben müssen. Ein Theaterstück zum Beispiel kann auf verschiedenen Ebenen | |
arbeiten und dabei einen komplexeren Zugang finden. Gleichzeitig kann es | |
zugänglicher sein als beispielsweise ein wissenschaftlicher Text, da es | |
kein akademisches Wissen erfordert und den Zuschauer*innen andere | |
Anknüpfungspunkte bietet. | |
Was bedeutet „intersektionale Solidarität“, wie es im Festivaltitel heißt… | |
Die Solidarität ist im Titel, weil wir mit dem Festival dazu beitragen | |
wollen. Unter intersektionaler Solidarität stelle ich mir vor, dass | |
verschiedene Menschen verschiedene Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten | |
haben und damit für sich selbst eintreten können, aber auch andere Menschen | |
unterstützen können. Ein gemeinsamer Kampf funktioniert nicht nur mit einer | |
Gruppe, die genauso positioniert ist wie man selbst. Wir wollen | |
herausfinden, wie man solidarisch miteinander leben kann. | |
Das heißt, der Fokus liegt eher auf dem Gemeinsamen statt auf | |
Unterschieden? | |
Ich glaube, dass die heutige Gesellschaft eine Vorstellung von sich | |
braucht, die auf radikaler Vielfalt beruht. Unterschiedliche Geschichten | |
und Positionierungen einzubeziehen ist wichtig und auf dieser Basis müssen | |
wir gemeinsame politische Positionen und Praxen entwickeln. Natürlich | |
steckt da der Wunsch drin, dass nicht alle nur für sich allein kämpfen. Das | |
Festival ist auch eine Suche danach, wie das aussehen kann. Es soll ein | |
Möglichkeitsraum sein. Wir wollen schauen, was passiert, wenn wir uns unter | |
der Prämisse der Solidarität treffen. | |
„Multitude. Festival für feministische und intersektionale Solidarität“: | |
Do, 15. 9., bis So, 18. 9., Hannover, Pavillon, Infos und Programm: | |
https://multitude-festival.de | |
15 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Josephine von der Haar | |
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