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# taz.de -- Der Unterwerfung davongaloppieren
> Das Festival „Tanz im August“ eröffnete mit starken politischen Setzungen
> und äußerst globalem Programm
Bild: Lebensfreude und Tabledance, auch das kommt vor in „Jurrungu Ngan-ga“…
Von Torben Ibs
Es ist ein wahrlich globaler Start, den diese 34. Ausgabe vom „Tanz im
August“, der letzten unter der [1][künstlerischen Leitung von Virve
Sutinen], hinlegt. Vier Stücke aus vier Kontinenten waren am Wochenende
auf Berlins Bühnen zu sehen. Zugleich löste sich das bei der Eröffnung
gegebene Versprechen ein, dass es dieses Jahr ein feministisches Festival
werden soll, denn außer bei Frédérick Gravels Solo „Fear and Greed“ waren
überall Frauen choreografisch beteiligt.
Die Frau zur Protagonistin zu machen stand am deutlichsten im Vordergrund
bei der Stadtintervention „City Horses“ des künstlerischen Duos Helena
Byström und Anna Källblad. Auf einem wilden Parcours vom Humboldt Forum
über Alexanderplatz und Museumsinsel bis zum Halleschen Ufer tobten 15
junge Frauen als Pferde durch die Stadt mit dem Ziel, den dominierenden
männlichen Reiterstatuen etwas entgegenzusetzen. Sie wiehern, scharren mit
den Hufen und imitieren das Wedeln mit dem Schweif ebenso wie das Schnaufen
durch die Nüstern.
Drei Stunden lang trabten und galoppierten sie durchs Zentrum, doch der
politische Anspruch, löst sich nur schwer ein. So steuert die Gruppe zwar
auch eine namenlose Amazonenstatue zwischen Alter Nationalgalerie und Neuem
Museum direkt an, aber viel anzufangen wissen die Performerinnen damit
nicht. Ähnlich sieht es später beim Alten Fritz Unter den Linden aus. Es
bleibt eine etwas brave, wenn auch schweißtreibende Intervention in den
öffentlichen Raum, die durchaus für einige Beachtung sorgt und auf dem
Gendarmenmarkt sogar einen Zwischenapplaus einheimst.
Politisch eindeutiger war da der Start am Freitag mit dem Tanztheater
„Jurrungu Ngan-ga“ der australischen Tanzkompagnie Marrugeku im Haus der
Berliner Festspiele. Übersetzt aus dem indigenen Yawuru lautet der Titel so
etwas wie „Klare Ansage“, und das Stück versteht sich – so sagt es eine
Stimme aus dem Off vorneweg – als Anklage gegen
rassistisch-kolonialistische Polizeigewalt, von der die Mitglieder der
First Nations in Australien überproportional betroffen ist, sowie gegen die
repressive Einwanderungspolitik mit ihren [2][exterritorialen
Internierungslagern auf Nauru und anderen Inseln]. Als Bühnenbild hat
Abdul-Rahman Abdullah die Ecke eines wohl drei Meter langen
Metallgitterkastens auf die Bühne gestellt und erschafft so die Andeutung
eines Innenhofs in einem Gefängnis und ein klares Innen und Außen.
Immer wieder werden Teile des Bühnengeschehens von einer Kamera von oben
wie in der Überwachungstechnik gefilmt und auf die Wand projiziert, was
eine klare Atmosphäre schafft, aber den Raum nie voll definiert. Dieses
Prinzip der Andeutung zeichnet die ganze Inszenierung aus.
Choreografin Dalisa Pigram und Regisseurin Rachael Swain setzen auf starke
Bilder mit einem Bewegungsvokabular, das indigene Einflüsse und
zeitgenössischen Tanz miteinander verschränkt, vermeiden allerdings
zugleich allzu explizite Darstellungen von realen Handlungen. Der Abend
verbleibt in einer Traum(ata)welt, in der die Gewalt zwar offenbar und
offensichtlich ist, aber nicht plakativ nachgestellt wird, sondern sich
auftürmt in kleinen und großen Details wie der sich wiederholenden Geste
zusammengebundener Hände oder Szenen von Bedrängung und Unterwerfung.
Dabei schürft die Produktion immer auch nach Hoffnung, nach dem utopischen
Potenzial der Überwindung dieses postkolonialen Rassismus. und gleitet
dabei in den offenen politischen Aktivismus und emphatischen Agitprop. Die
Gruppe verliest die Namen von Todesopfern durch Polizeigewalt und
Suizidopfern in den Internierungslagern, um furios im Stil von Rage Against
The Machine – nur ohne Gitarren – rappend zur direkten Anklage überzugehen:
„This is Australia!“ Da bleibt kein Platz mehr für Nuancen.
Am Ende liegen die Kronleuchter, die als Symbole des kolonialistischen
Imports immer wieder von der Decke schwebten, am Boden. Doch die Utopie
bleibt unvollendet, denn auf der anderen Seite des Metallzauns hinter der
nun leeren Bühne stehen immer noch Menschen.
Einen ganzen Schritt näher an der Utopie war da das Stück „Siguifin“, das
im HAU 1 zu sehen war. Der Choreograf Amala Dianor hat mit drei
Kolleg:innen und neun Tänzer:innen aus verschiedenen
westafrikanischen Ländern zusammengearbeitet und kombiniert an diesem
Abend, den man mit „Magisches Monster“ übersetzen kann, afrikanische
Regionalkulturen, HipHop und Breakdance sowie zeitgenössischen Tanz.
Laurence Chalou hat ihnen dazu weiße Kostüme auf den Leib geschneidert, die
entweder mit traditionellen Mustern bestickt oder vom Bauhaus inspiriert
sind.
In dieser Spannung zwischen Süd und Nord steht die gesamte Produktion.
Gezeigt wird ein energetisches, fröhlich überbordendes Stück auf hohem
Niveau voller Humor und Zuneigung mit tollen Gruppen- und Einzelszenen und
der unglaublichen tanzenden Sängerin Rama Koné.
Doch zugleich stellen die Performer immer wieder die Frage, was von ihnen
erwartet wird im globalen Kontext der üblichen Süd-Nord-Beziehungen in
einer Art Förderungsbullshitbingo – und so sorgen sie für einen doppelten
Boden jenseits der tänzerischen Exzellenz. Antworten gibt es freilich
nicht, aber vielleicht liefert „Tanz im August“ da ja noch ein paar Ideen.
Das [3][Festival „Tanz im August]“ läuft bis 27. August
9 Aug 2022
## LINKS
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[2] /!5686289&SuchRahmen=Print
[3] https://www.tanzimaugust.de/
## AUTOREN
Torben Ibs
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