# taz.de -- Wennaus Spiel Ernst wird | |
> Die Spielwarenindustrie gilt als Plastikhölle schlechthin. Doch seit | |
> einiger Zeit setzt auch sie auf nachhaltige Materialien und | |
> klimapolitische Spielziele | |
Von Wilfried Urbe | |
Die Kinder von heute sind die Eltern von morgen. Das weiß auch die | |
Spielebranche. Ebenso, dass das Bewusstsein für Umwelt und | |
gesellschaftliche Gerechtigkeit immer größer wird. Also setzt die ja | |
sowieso unter Plastikverdacht stehende Spieleindustrie auf das Thema | |
Nachhaltigkeit. Wie sehr das inzwischen in der Branche angekommen ist, | |
zeigte die letzte Spielwarenmesse in Nürnberg. Noch nie gab es dort so | |
viele Erzeugnisse, die damit werben, nachhaltig hergestellt zu sein. Und | |
noch nie wollten so viele Spielzeuge den Kindern die mit diesem Thema | |
verbundenen Aspekte nahebringen. | |
„Toys go Green“ hatten das die Veranstalter*innen in Nürnberg genannt und | |
den Trend in vier Kategorien unterteilt: „Made by Nature“ (Spielwaren aus | |
natürlichen Materialien wie Holz, Bambus, Kork, Mais, Wolle und Kautschuk), | |
„Inspired by Nature“ (Spielwaren, die auf biobasierten Kunststoffen | |
aufbauen, wie Zucker, Stärke, Zellulose und Proteine), „Recycle & Create“ | |
(Spielwaren aus recycelten Rohstoffen und Upcycling) und schließlich | |
„Discover Sustainability“ (Spielwaren, die für Umweltschutz und | |
Nachhaltigkeit sensibilisieren sollen). | |
Das klingt alles toll, aber nach wie vor werden Spielwaren zu 80 Prozent | |
aus Kunststoff gefertigt. Damit ist die Spielwarenindustrie die | |
kunststoffintensivste Industriebranche. Ein Problem, dem sie begegnen muss. | |
Und so lehnen sich die großen Hersteller mit ihren Versprechungen ziemlich | |
weit aus dem Fenster. Der Produzent von Playmobil, die Horst Brandstätter | |
Group, gibt beispielsweise an, einen „relevanten Beitrag“ leisten zu | |
wollen, „um die Umwelt und ihre Ressourcen zu schützen“. Die Produktreihe | |
„Wiltopia“, die Playmobil jetzt auf den Markt bringt, bewirbt der | |
Hersteller als erste Produktreihe aus dem eigenen Haus, die aus über 80 | |
Prozent nachhaltigen Materialien bestehen wird, ein großer Teil aus | |
recyceltem Kunststoff. | |
„Umweltbewusstsein kann gut auf spielerische Weise vermittelt werden“, | |
wirbt Björn Seeger, Sprecher von Playmobil, für das neue Segment. So sollen | |
Kinder mit „Wiltopia“ den Regenwald in der Amazonasregion entdecken und | |
seine Wichtigkeit für das gesamte Ökosystem verstehen. | |
Playmobil betont immer wieder, auf den „verantwortungsvollen Umgang mit | |
allen Ressourcen und den Auswirkungen auf die Umwelt“ Wert zu legen. Man | |
arbeite mit dem Umweltmanagementsystem (DIN EN ISO 14001) sowie mit einem | |
Energiemanagementsystem (DIN EN ISO 50001) und mit erneuerbaren Energien | |
von Photovoltaikanlagen auf den Dächern und durch Blockheizkraftwerke. | |
Playmobil gilt als „Systemspielzeug“. Jeder, der mal Teile dieses | |
Herstellers besessen hat, wird wissen, was das heißt: Es bedeutet, dass es | |
in den meisten Fällen verschenkt, vererbt, weitergegeben wird und über | |
Generationen im Einsatz ist. Neue Produkte werden mit älteren Artikeln | |
kombiniert. Sollte „der seltene Fall“ auftreten, so der Playmobil-Sprecher, | |
dass ein Verbraucher ein Produkt entsorgt, werde es komplett dem | |
Recyclingprozess zugeführt, sodass „praktisch kein Abfall daraus entsteht“. | |
Auch der Geschäftsführer von Fischertechnik, Wilhelm Schoch, betont: | |
„Unsere jahrzehntealten Baukästen sind immer noch einsetzbar, auch das | |
verstehen wir unter Nachhaltigkeit.“ Vor Kurzem hat der Hersteller aus | |
Waldachtal einen Baukasten auf den Markt gebracht, bei dem die | |
Kunststoffbauteile zu mindestens 60 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen | |
bestehen. Als Basis für die Kunststoffbestandteile dient Rizinusöl, das aus | |
dem Samen des Wunderbaums gewonnen wird. „Diese stehen nicht in Konkurrenz | |
mit Nahrungs- und Futtermitteln, auch nicht mit den entsprechenden | |
Anbauflächen“, ergänzt Schoch, „damit besteht keine Gefahr, dass | |
landwirtschaftliche Flächen für Tiere oder Menschen dafür eingesetzt | |
werden“. | |
Er verweist außerdem auf die „jahrelange Erfahrung“ des Mutterkonzerns | |
Fischer mit dem Befestigungssortiment Greenline: Die entsprechenden Dübel | |
und der Montagemörtel seien mindestens zu 50 Prozent aus nachwachsenden | |
Rohstoffen produziert. Die Produktlinie Fischer Tip, die „Bastelbedarf für | |
groß und klein“ anbietet, besteht schon jetzt aus Kartoffelstärke. Und der | |
Brennstoffzellen-Bausatz „H2 Fuel Cell Car“ von Fischertechnik wurde | |
letztes Jahr zum Top-Spielzeug gekürt. | |
So weit die Firmen. Was aber ist dran an den Versprechungen, auf | |
biobasierte Kunststoffe setzen zu wollen? Die meisten großen Hersteller | |
seien da noch in einem Experimentierstadium, sagt der Chemiker Harald Käb. | |
Er ist seit über 25 Jahren im Bereich biobasierte Kunststoffe tätig, hat | |
den Europäischen Biokunststoffverband aufgebaut sowie geleitet und berät | |
die Spielwarenmesse und den deutschen Spielwarenverband. Er sagt, dass die | |
Vorreiter in der Vermeidung von Kunststoffen und dem Ersatz durch | |
nachhaltigere und kreislauffähigere Stoffe vor allem die großen, namhafte | |
Unternehmen wie beispielsweise Lego sind. Firmen wie diese hätten | |
angekündigt, ab 2030 nur noch recycelbare Kunststoffe oder Kunststoffe aus | |
nachwachsenden Rohstoffen einsetzen zu wollen. | |
Die größte Herausforderung für die bekannten Marken sei dabei, die | |
bisherige Qualität und Spielzeugsicherheit auch mit den neuen Stoffen zu | |
gewährleisten. Gerade die Sicherheit der nachhaltigen Materialien, | |
Verfügbarkeiten, technische Parameter wie Langlebigkeit, Belastbarkeit oder | |
UV-Stabilität seien noch nicht ohne Weiteres abzubilden. Käb verweist | |
außerdem darauf, dass grundsätzlich zwischen biobasierten und biologisch | |
abbaubaren Kunststoffen unterschieden werden müsse, „auch wenn diese beiden | |
Arten nicht klar definiert sind“. | |
Biobasierte Kunststoffe hätten das Ziel, fossile Ressourcen zu ersetzen und | |
geringere CO2-Emissionen zu verursachen. Abbaubare Kunststoffe hingegen | |
könnten eine umweltsichere Kreislaufwirtschaft in Bereichen ermöglichen, | |
bei denen der Kontakt mit der Natur so gut wie unvermeidlich ist. | |
Biobasierte Kunststoffe werden aus Biomasse hergestellt. Mit ihnen, so Käb, | |
sei eine CO2-Einsparung von 20 bis 70 Prozent möglich. Allerdings gebe es | |
gerade bei den hochwertigen, langlebigen Kunststoffen wie beispielsweise | |
ABS noch kein biobasiertes Ersatzprodukt, das in den bestehenden | |
Fertigungsprozessen eingesetzt werden könnte. | |
Am aktuellen Gesamtbedarf an Kunststoffen von aktuell 350 Millionen Tonnen | |
pro Jahr machen biobasierte Kunststoffe etwa ein Prozent aus. „Dafür werden | |
0,02 Prozent der weltweiten Agrarflächen zur Biomasseproduktion benutzt“, | |
schätzt Käb. Voraussetzung für eine Steigerung der Produktion sei die | |
nachhaltige Biomassebereitstellung, die weder die Lebensmittelproduktion | |
noch den Naturschutz gefährden dürfe. | |
Die Spielwarenindustrie muss sich also noch ganz schön viel einfallen | |
lassen, um tatsächlich „nachhaltig“ zu werden. | |
23 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Urbe | |
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