Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Das Material ausreizen
> Die Ausstellung „Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich
> Dieckmann“ im Kunstgewerbemuseum erinnert an einen vergessenen Gestalter
> zwischen Modernität und Anpassung
Bild: Schicke Stühle, hier in der Ausstellung mit Möbeln von Erich Dieckmann
Von Ronald Berg
Das Bauhaus wird oft pauschal als gut, fortschrittlich oder chic gesehen.
Mit dem „vergessenen Bauhäusler“, wie die Ausstellung zu Erich Dieckmann im
Berliner Kunstgewerbemuseum heißt, zeigt sich nun: Bauhaus meint nicht nur
Glamour, Stardom und Ruhm.
Dieckmann, Jahrgang 1896, kam 1921 an die Bauhaus Schule in Weimar und
legte nach drei Jahren dort in der Tischlerei seine Gesellenprüfung ab.
Bereits 1923 war er im „Haus am Horn“ in Weimar für die Möblierung von Es…
und Herrenzimmern verantwortlich. Dieses Versuchshaus für eine neue
Ästhetik beim Wohnen sollte zugleich Werbemittel für Bauhaus-Produkte sein.
Mit mäßigem Erfolg. Als Gründungsdirektor Walter Gropius auch deshalb 1925
mit seiner Schule nach Dessau umzog, blieb Dieckmann in Weimar und wurde
Leiter der Tischlerei an der Hochschule für Handwerk und Baukunst.
Im Grunde war diese Neugründung eine Bauhaus-Nachfolgeeinrichtung nur nicht
so großsprecherisch und radikal. Statt dem schon 1923 von Gropius
ausgegebenen Motto „Kunst und Technik, eine neue Einheit“ zu folgen, blieb
Dieckmann hier der ursprünglichen Devise des Bauhauses treu, die Kunst und
Handwerk miteinander versöhnen wollte.
Statt Experimente eher Reformen, statt Stahlrohr und Freischwinger entwarf
Dieckmann weiter in Holz und setzte dabei auf reduzierte Formen in
Kombination mit bürgerlicher Gemütlichkeit. Es entstanden Typenmöbel, die
mit standardisierten Maßen untereinander kombinierbar waren, die aber noch
im Manufakturbetrieb auf Bestellung produziert wurden. Und dies zu einer
Zeit, in der sein ehemaliger Bauhaus‑Kommilitone Marcel Breuer – nun unter
Gropius in Dessau – bereits mit Sitzmaschinen in Stahlrohr Furore machte.
1930 wurde die Hochschule in Weimar durch völkische Kreise völlig
umgekrempelt und Dieckmann wegen seines Odiums als ehemaliger Bauhäusler
entlassen. Die persönliche Krise führte Dieckmann in einen kreativen
Rausch. Für verschiedene Firmen nun auch aus der Industrie betrieb
Dieckmann „Möbelbau in Holz, Rohr und Stahl“, wie sein Buch von 1931 hieß,
das so etwas wie Werkkatalog, Kompendium und Werbemittel in eigener Sache
war. Dieckmann entwickelte die Form seiner Möbel jeweils aus dem Material,
deren sparsam-rationelle und maschinentaugliche Bearbeitung die Grundlage
war.
Doch zu ikonischen Entwürfen als unverwechselbarem Markenzeichen kam es
nicht. Das meiste blieb auf den Geschmack des damaligen Gegenwartsmenschen
hin ausgerichtet. Der aber wollte Gediegenheit und keine Sitzmaschinen für
den Menschen der Zukunft. Dieckmann, der ab 1931 an der Kunsthochschule
Burg Giebichenstein in Halle als „Fachlehrer für Tischlerei und
Innenausbau“ unterkam, fand in diesen Jahren mit seinen Entwürfen Anklang
und gewann Kunden. Von heute aus gesehen wirkt Dieckmann aber zu wenig
avantgardistisch.
Am Kunstgewerbemuseum kann man das alles nun nachvollziehen, mit vielen
zeichnerischen Entwürfen, Möbeln und Dokumenten. Mithilfe der Kunststiftung
Sachsen-Anhalt gibt es sogar Nachbauten von Sesseln, deren Gemütlichkeit
man selbst austesten kann. Und es gibt Entwürfe von Studierenden der Burg
Giebichenstein, die von Dieckmann inspiriert sind und aktuelle
Erfordernisse wie Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit mit
berücksichtigen.
Dass Dieckmann bis zur aktuellen Ausstellung (die zuvor bereits in Halle
stattfand) vergessen war, hat auch mit der Zeit nach 1933 zu tun. In Halle
traf den Möbeldesigner nach der Machtergreifung der Nazis abermals das
Verdikt, Bauhäusler gewesen zu sein, er verlor seine Stellung. Die seltsame
Pointe, mit der Dieckmann dem Stigma des Bauhäuslers begegnete, war, dass
er bis zu seinem Tod 1944 im NS-Staat als kleiner Bürokrat mitmachte,
zuerst im Amt „Schönheit der Arbeit“, dann in der Reichskulturkammer. Weder
als Held noch als Opfer passt Dieckmann also in den Mythos des Bauhauses
als Heldengeschichte. Und gerade deshalb ist es gut, dass jetzt an
Dieckmann erinnert wird.
Kunstgewerbemuseum, Kulturforum, bis 28. 8., Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. + So.
11–18 Uhr. Katalog im Mitteldeutschen Verlag: 208 Seiten, 30 Euro
5 Jul 2022
## AUTOREN
Ronald Berg
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.