# taz.de -- Digitale Bilderflut | |
> Was bekommen wir nicht zu sehen? „Give and Take. Bilder über Bilder“ in | |
> der Galerie der Gegenwart ist der Beitrag der Hamburger Kunsthalle zur | |
> Triennale der Photographie | |
Bild: Gefährliche Digitalisierung? Adam Broombergs und Oliver Chanarins Serie … | |
Von Falk Schreiber | |
Die umgekehrte Bildersuche ist ein hilfreiches Tool: Man lädt ein eigenes | |
Foto hoch, und die Suchmaschine spuckt daraufhin Orte im Web aus, an denen | |
dieses Foto auftaucht. Pressefotograf:innen hilft dieses System bei | |
der Prüfung, ob die eigenen Bilder von geizigen Medien genutzt werden, die | |
das Honorar prellen wollen. Da wird das Foto ganz konkret zum Handelsgut, | |
was den Link herstellt zum Titel der aktuellen Hamburger Triennale der | |
Photographie: „Currency“, „Währung“. | |
Allerdings findet die umgekehrte Bildersuche nicht nur das eingegebene | |
Bild, sondern auch Bilder, die irgendwie eine Ähnlichkeit zu der gesuchten | |
Aufnahme haben. Die Algorithmen stellen hier irritierende Fundstücke her, | |
die die Bedeutung des Anfangsbildes erweitern. | |
Viktoria Binschtok kombiniert in ihrer Serie „Networked Images“ (2017–202… | |
jeweils zwei solcher Bilder: Die durch eine Dollarnote gezogenen | |
Kokswölkchen verwandeln sich in unschuldige Cumuluswolken vor tiefblauem | |
Himmel, das rote Kleid der Künstlerin setzt sich fort im durch ein Glas | |
schwappenden Rotwein. | |
Binschtoks ironische Bildarrangements sind in der Hamburger Galerie der | |
Gegenwart zu sehen, in der Ausstellung „Give and Take. Bilder über Bilder“ | |
nehmen sie einen Raum ein, als interessante, so trashige wie | |
hochästhetische Installationen, die mit dem Gegensatz von Kunst und | |
Massenproduktion spielen. Sie definieren so die Haltung des | |
Kunsthallen-Beitrags zur Triennale der Photographie: Es geht um „Bilder | |
über Bilder“, um das fotografische Nachdenken über das riesige Bildarchiv | |
Internet. | |
Gerade Binschtok geht aber noch einen Schritt weiter – „Networked Images“ | |
lenkt den Blick auf die Mechanismen, die dieses Archiv kuratieren. Auf die | |
Algorithmen, die eine (zumindest formal sichtbare) Verbindungslinie | |
zwischen Kokain und Wolke herstellen. | |
Im Grunde führt jede der in „Give and Take“ gezeigten Positionen zurück z… | |
Archivgedanken. Taryn Simon etwa dokumentiert mit den Collagen aus der | |
Serie „The Picture Collection“ (2012) die Arbeit des 1,29 Millionen Bilder | |
umfassenden Archivs der New York Public Library’s Picture Collection, wobei | |
ihr Augenmerk auf den Verschlagwortungen und daraus folgenden | |
Hierarchisierungen der Sammlung liegt. Zu sehen sind Collagen zu | |
Schlagworten wie „Financial Panic“, „Swimming Pool“ oder, abstrakter, | |
„Objects“. Und während die Verschlagwortung bei Gründung der Collection | |
1915 noch von menschlichen Archivar:innen vorgenommen wurde, übernehmen | |
diese Aufgabe heute ebenfalls Algorithmen. | |
## Sortiert vom Algorithmus | |
Die Gefahr, die in dieser Digitalisierung der Bilderflut steckt, greifen | |
etwa Adam Broomberg und Oliver Chanarin auf. Algorithmen steuern zum | |
Beispiel, welche Motive auf Facebook oder auf Instagram zu sehen sind. | |
Allerdings bestimmen sie auch, welche Motive aussortiert werden, etwa, weil | |
sie zu politisch, zu explizit oder zu gewalttätig sind. | |
Die Arbeit „Blame the Algorithm“ fokussiert sich auf diese Ausschlüsse: Was | |
bekommen wir eigentlich nicht zu sehen, wenn wir Bilder betrachten? | |
Einen ungeordneten Blick ins Archiv hingegen ermöglicht Evan Roth: Die | |
„Internet Cache Self Portrait Series“ (seit 2014) sind in ihrer schieren | |
Masse unübersichtliche Ausdrucke von Roths Netzcache, der sich innerhalb | |
eines Tages angesammelt hat, gedruckt als Tapete, die einen gesamten Raum | |
in der Galerie der Gegenwart bedeckt. Einen Raum, der mit Panoramafenstern | |
den Blick auf Alster und Rathaus freigibt, Fenster, die in dieser | |
Bilderflut selbst Bildcharakter annehmen. | |
Tatsächlich flutet die Ausstellung die Aufnahmefähigkeit weniger, als man | |
beim Blick auf Evan Roths Arbeit denken könnte: Kuratorin Petra Roetting | |
setzt weniger auf Masse als auf die politische Reflexion über die Frage, | |
was man für ein Ordnungssystem für eine Fülle an Bildern benötigt, und | |
welche Hierarchien diese Ordnungen nach sich ziehen. | |
Nicht von ungefähr heißt ein Themenblock der Ausstellung „Kanon und | |
Gewalt“: Kanonisierung als gewalttätiger Eingriff ins Archiv. Auch wenn | |
dieser Titel eine Ansage beinhaltet, die dann durch die primär | |
formalästhetische Umsetzung nur schwach eingelöst wird: Sebastian Riemers | |
hegt kanonisierte Kunst von Roy Liechtenstein bis Jeff Wall in die Enge | |
eines Diaarchivs ein, Louise Lawler entkunstet Kunst, schließlich liefert | |
Katharina Gaenssler mit „Ohne Titel (Vorhang für Louise Lawler)“ (2022) | |
eine Hommage an Lawler. Da versandet der politische Anspruch im Archiv des | |
Selbstbezugs, aber, zugegeben, er sieht ganz großartig aus dabei. | |
## Halb Satire, halb Sarkasmus | |
Den Abschluss macht Thomas Ruff, in den Worten von Kuratorin Roetting „der | |
Altmeister der Aneignung von Fotografie“. Seine 2015 begonnene Serie | |
„press++“ besteht aus Pressefotos, wie sie in vordigitalen Zeiten als | |
Ausdruck in Bildredaktionen gesammelt wurden, kombiniert mit den | |
Beschriftungen auf der Rückseite, die beispielsweise die US-amerikanischen | |
Atomwaffentests 1946 auf dem Bikini-Atoll mit nüchterner Nonchalance | |
beschreiben: „What goes up must come down.“ | |
Ästhetisch bringt diese halb satirische, halb sarkastische Arbeit die | |
Fotokunst kein Stück weiter, aber als Reflexion über das Foto als | |
Bedeutungsträger, über das Archiv als Fundort für diese Bedeutungsträger | |
und schließlich über Kuration, Kanonisierung und Algorithmisierung als | |
Ordnungssysteme für diese Archive gibt „press++“ einiges her. Zumal Ruff | |
wahrscheinlich der international bekannteste Name in dieser angenehm wenig | |
auf Stars setzenden Präsentation ist. Was einen auch intensiver über | |
Kanonisierung nachdenken lässt. | |
„Give and Take. Bilder über Bilder“: bis 28. August, Hamburger Kunsthalle, | |
im Rahmen der Triennale der Photographie | |
20 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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