# taz.de -- „Wir glauben an die guten Tage, die noch kommen“ | |
> Ibrahim Varli ist Chefredakteur der linken Tageszeitung „BirGün“, die | |
> landesweit erscheint. Ein Gespräch über die Zukunft der oppositionellen | |
> Medien in der Türkei | |
Von Ebru Tasdemir | |
taz Geno: Herr Varlı, vor genau 18 Jahren erschien die erste Ausgabe der | |
Tageszeitung BirGün, auf deutsch „Eines Tages“. Welchen Stellenwert hat | |
Ihre Zeitung auf dem heutigen türkischen Pressemarkt? | |
Ibrahim Varlı: BirGün ist die Zeitung der zivilgesellschaftlichen | |
Opposition. Wir sind die Stimme der Frauen, Umweltaktivist*innen, | |
Arbeiter*innen und Student*innen, also von benachteiligten Gruppen und | |
Minoritäten, die in der heutigen Türkei für Ihre Rechte einstehen. Deshalb | |
heißt die Zeitung eigentlich „Die Stimme des Volkes BirGün“. Wir haben ei… | |
linke sozialistische Ausrichtung und sind keine Zeitung zum schnöden | |
Angucken, sondern für eine eingehende Zeitungslektüre. Wir publizieren | |
Tatsachen. | |
Was war der Auslöser für die Gründung von BirGün? | |
Das Abenteuer begann, als immer mehr Medienformate von großen, staatsnahen | |
Konzernen übernommen wurden und so kaum mehr eine publizistische Plattform | |
bestand, die die Zivilgesellschaft redaktionell in den Vordergrund stellte. | |
Themen wie Friedenspolitik, Arbeitskämpfe und Demokratiebestrebungen | |
konnten nur mühsam und gegen eine solche Übermacht publiziert werden, in | |
einem eigenen unabhängigen Blatt. Es sollte eine Zeitung sein, mit Stimmen, | |
die sonst kein Gehör fanden. Die erste Ausgabe der BirGün erschien dann am | |
14. April 2004. Eine Handvoll Intellektueller legte aber vor Erscheinen ihr | |
mühsam Erspartes zusammen, um diese Zeitung zu gründen. Sie wurden dabei | |
auch unterstützt von linken Gewerkschaften und Organisationen. Diese | |
Zeitung ist die Zeitung der hart Arbeitenden, des Proletariats, sie sind | |
die Leser*innen dieser Zeitung ohne den Patron, den Chef, der alles | |
leitet. Wir sind ein Kollektivprodukt, deshalb haben wir auch keine | |
Herausgeber. Heute sind wir eine Zeitung, die für eine gerechtere Welt | |
einsteht und sich vor allem dem rechtsliberalen Kurs im Lande stellt. | |
Wie hat sich BirGün mit den Jahren verändert? | |
Mittlerweile ist BirGün nicht nur eine Zeitung: wir wachsen vor allem auf | |
den digitalen Plattformen, unter anderem mit unserem youtube-Kanal BirGün | |
TV und haben 40 Mitarbeiter*innen. Um die 10.000 Zeitungen beträgt unsere | |
tägliche Auflage und wir generieren etwa 800.000 Klicks pro Tag auf der | |
Webseite. | |
In den letzten Jahren war es um die Pressefreiheit in der Türkei besonders | |
schlecht bestellt, dazu kam dann noch die Pandemie. Wie haben Sie als | |
Redaktion diese zusätzlich schwierigen Zeiten erlebt? | |
Klar, die Pandemie hat ja einiges auf den Kopf gestellt. Uns Medien hat das | |
ebenfalls sehr getroffen. Dazu kommt aber auch die schon seit Jahren | |
bekannte schwierige Situation der konventionellen Medien, die sich mit | |
einer veränderten Zielgruppe und ihren Interessen und neuen Technologien | |
anpassen muss, aber das gilt ja weltweit. Hier in unserem Land kommt aber | |
noch der politische Druck der Regierung und die Zermürbungstaktik hinzu. | |
Mit lauteren und unlauteren Methoden versuchen die Herrschenden, unsere | |
Arbeit zu blockieren. Das Ziel ist es, mit Zensurregelungen und | |
antidemokratischen Gesetzen uns als oppositionelle Medien verstummen zu | |
lassen. Dazu kommt dann aber auch noch der finanzielle Druck wie | |
Strafzahlungen und fehlende Anzeigen aufgrund von Werbeembargos. | |
Keine rosigen Zukunftsaussichten für die oppositionellen Medien, aber auch | |
speziell für Ihre Zeitung? | |
Zeitungen wie BirGün leben von der Solidarität ihrer Leser*innen. Weil sie | |
keinem Patron dienen, können sie sich dem Gewinn-oder Verlustdenken besser | |
entziehen. Unsere Zukunft ist wirklich rosig, denn wir glauben an den | |
Widerstand und an die guten Tage, die dann folgen. Die Türkei ist ein Land | |
in der Krise. Und angesichts der hiesigen Presselandschaft wird die Arbeit | |
unserer Zeitung wie auch der der anderen oppositionellen Medien | |
bedeutender. Kein Grund also für Hoffnungslosigkeit und Trübsal, solange es | |
linke Politik und linke Medien gibt. | |
Kann man Sie aus dem Ausland unterstützen? | |
Wir bieten allen Leser*innen und Freunden aus dem Ausland die | |
Möglichkeit, ein Abonnement der digitalen Ausgabe unserer Zeitung | |
abzuschließen. Ein täglicher Besuch auf unserer Webseite ist für uns aber | |
auch schon eine Unterstützung. | |
7 May 2022 | |
## AUTOREN | |
Ebru Tasdemir | |
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