# taz.de -- Der Lohn der harten Arbeit | |
> Die Welt der Bauern ohne jede Verkitschung: „Wilderer“ von Reinhard | |
> Kaiser-Mühlecker | |
Von Fokke Joel | |
Jakob, der Protagonist von Reinhard Kaiser-Mühlecker neuem Roman | |
„Wilderer“, kämpft mit seinem Leben. Es ist ein Leben in einer bäuerlichen | |
Welt, die sich nur äußerlich den rasanten Veränderungen der Moderne | |
angepasst hat. Zwar pflügt er mit seinem 150-PS-Boliden die Felder und | |
kontrolliert am Bildschirm die automatische Fütterung von Hühnern und | |
Schweinen, aber seine Gefühle sind wie aus der Zeit gefallen, hängen auf | |
vormoderne Weise an Familie, Land und Leuten. | |
Zwischen einem Leben auf dem Hof seiner Eltern und dem in der Stadt fühlt | |
er sich hin- und hergerissen. In „Fremde Seele, dunkler Wald“, dem | |
vorletzten Roman des 1982 im österreichischen Kirchdorf an der Krems | |
geborenen Autors, hatte Jakob einen Versuch unternommen, sich vom Hof zu | |
lösen, war mit seiner Freundin Nina zusammengezogen und wollte mit ihr eine | |
Familie gründen. Doch das Kind, das sie bekommt, ist nicht von ihm, und die | |
Beziehung zerbricht. In „Wilderer“ lebt er wieder auf dem elterlichen Hof, | |
der sich unter einer riesigen Autobahnbrücke befindet, die wie ein | |
drohendes Schwert der modernen Welt über allem schwebt. Wie eine | |
Naturgewalt erscheint das ewigen Dröhnen der Autos und Lastwagen, dem Jakob | |
bei der Arbeit mit einem Gehörschutz mit eingebauten Radio zu entgehen | |
versucht. | |
In „Fremde Seele, dunkler Wald“, während der Zeit mit Nina, war sein | |
Großvater gestorben. Ansonsten hat sich auf dem Hof nicht viel verändert. | |
Jakobs Vater verschwindet immer noch für Wochen, ohne dass jemand wüsste, | |
wohin. Um das Leben seiner Familie und seiner „Projekte“ zu finanzieren, | |
hat er weiteres Land verkauft. Und Jakob macht das, was er schon seit | |
seiner frühesten Jugend gemacht hat: von morgens bis abends zu arbeiten. | |
Ohne ihn gäbe es die Landwirtschaft nicht mehr. | |
Immer wieder denkt Jakob an Selbstmord, spielt mit dem alten Revolver des | |
Großvaters, den er als Jugendlicher auf dem Dachboden gefunden hatte, | |
russisches Roulette. Oder träumt davon, in den Krieg zu ziehen. Völlig | |
erschöpft von der harten Arbeit, schüttet er abends ein Bier nach dem | |
anderen in sich hinein. Auf Tinder, dessen Funktion er nicht wirklich | |
versteht, sieht er sich die Frauenporträts an. Doch obwohl es immer wieder | |
Frauen gibt, die sich für ihn interessieren, geht er nicht darauf ein. | |
„Wilderer“ lebt, wie schon die zuvor erschienen Romane von Reinhard | |
Kaiser-Mühlecker, nicht vom Handlungsablauf. Es passiert nicht viel, und | |
wenn etwas passiert, dann empfindet es Jakob als naturgegeben, wie der | |
Wechsel der Jahreszeiten. Die Schilderung seiner täglicher Arbeit erzeugt | |
im Leser eine eigentümlich Ruhe. Gleichzeitig staut sich hinter der Fassade | |
von Harmonie, Arbeit und Familie Gewalt an. Sie tritt an nur wenigen | |
Stellen zutage, die aber dadurch umso verstörender wirken. | |
Die Zwänge und Ambivalenzen, unter denen Jakob leidet, die ihm das Gefühl | |
geben, zwischen den Stühlen zu sitzen, kennt jeder. Vielleicht lässt sich | |
damit auch der Erfolg der Romane Kaiser-Mühleckers erklären, der mit | |
„Fremde Seele, dunkler Wald“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises | |
stand. Jakob erlebt diese Zwänge und Ambivalenzen nur ungleich härter als | |
die meisten. Mit seinem neuen Roman gelingt es Reinhard Kaiser-Mühlecker | |
ein weiteres Mal, dem Leser die Welt der Bauern nahezubringen, ohne | |
Verklärung und ohne Klischees. „Wilderer“ ist ein düsteres Buch, aber auch | |
ein Buch der Hoffnung. Ein gelungener Roman, der einen noch lange | |
beschäftigt. | |
Als Katja auftaucht, eine mit ihrem Leben hadernde Künstlerin, und sich in | |
Jakob verliebt, beginnt sich vieles zu ändern. Sie ist hartnäckig, | |
überzeugt den misstrauischen Mann von sich. Es stellt sich heraus, dass | |
diese „Zeitdiebin“, wie er sie einmal am Anfang für sich nennt, genauso | |
hart arbeiten kann wie er. Sie bringt Jakob dazu, was sowieso schon klar | |
ist, wozu er sich aber nicht durchringen konnte: den Hof auf biologische | |
Landwirtschaft umzustellen. Doch obwohl er sie liebt, wird er sein | |
Misstrauen nicht los. Und denkt, vielleicht will auch sie nur in seinem | |
Leben „wildern“. | |
9 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Fokke Joel | |
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