| # taz.de -- Vorbereitung des Tanzes im Raum | |
| > Als Abstraktion für Freiheit und Fortschritt stand: Das Kunsthaus Dahlem | |
| > zeigt Raumlineaturen von Hans Uhlmann, der für den öffentlichen Raum in | |
| > Berlin etliche Skulpturen teils beträchtlichen Ausmaßes geschaffen hat | |
| Bild: Hans Uhlmann, Figuren, 1950, Kohle, Kreide, Bleistift, 94 x 120 cm, Stift… | |
| Von Ronald Berg | |
| Er ist der große Unbekannte, den paradoxerweise viele kennen. Wer ist noch | |
| nicht an der riesigen, zwanzig Meter hohen Stahlstele vor der Deutschen | |
| Oper in Charlottenburg vorbeigekommen? Auch die blank-schimmernde Skulptur | |
| am Hansaplatz in Tiergarten mit ihren blütenhaft wirkenden Kelch‑ und | |
| Staubblättern aus Metall werden viele schon gesehen haben. Und schließlich | |
| die gefalteten Blechflügel des Vogels „Phönix“ auf dem Dach der Berliner | |
| Philharmonie werden die meisten der Besucher und Passanten schon einmal | |
| bemerkt haben. | |
| All das stammt von Hans Uhlmann (1900–1975). Derzeit sind solche | |
| Stahlskulpturen nicht in Mode, doch bis zu seinem Tod war Uhlmann hoch | |
| geschätzt, war documenta- und Biennale-Teilnehmer. Uhlmanns Werk umfasst | |
| allein 242 Skulpturen – von teils beträchtlichen Ausmaßen. | |
| Hans Uhlmann war zudem ein begabter Zeichner. Das Kunsthaus Dahlem zeigt | |
| derzeit einen Überblick zu Uhlmanns zeichnerischen Arbeiten von 1933 bis | |
| 1960. Anhand des Materials kann man sehr gut der Frage nachgehen, warum | |
| Uhlmanns Kunst vor allem in den 1950er Jahren eine überaus hohe | |
| Wertschätzung genoss, während der Künstler heute – vor allem wohl den | |
| Jüngeren – so gut wie unbekannt sein dürfte. Anlass für die Ausstellung ist | |
| die Publikation von Uhlmanns Gefängnistagebüchern, die buchstäblich einiges | |
| skizzieren, was in der bildhauerischen Entwicklung des Künstlers Gestalt | |
| annehmen und schließlich auch seinen späteren Erfolg ausmachen sollte. | |
| Hans Uhlmann – Berliner, ausgebildeter Ingenieur und Kommunist – wurde im | |
| Oktober 1933 bei einer Flugblattaktion festgenommen und zunächst in das | |
| berüchtigte KZ Columbia am Rande des heutigen Flughafens Tempelhof | |
| eingesperrt. Aus dieser Gestapo-Haft wurde er Wochen später in die | |
| Justizvollzugsanstalt Tegel überstellt und blieb dort bis Mai 1935 wegen | |
| „Vorbereitung zum Hochverrat“. | |
| Um die Haft durchzustehen schrieb er Tagebücher, in die er auch seine | |
| Zeichnungen für noch zu verfertigende Plastiken einklebte. Es handelte sich | |
| dabei vornehmlich um Köpfe aus Draht, die sehr direkt die Linien auf dem | |
| Papier ins Dreidimensionale des Raumes übersetzen sollten. Es dauerte | |
| allerdings noch bis zum Ende des Dritten Reichs, dass Uhlmann als Künstler | |
| mit Draht- und Stahlskulpturen überhaupt öffentlich in Erscheinung treten | |
| konnte. Während der NS-Zeit arbeitete er als Ingenieur in der Industrie. | |
| Allgemeine Anerkennung als Künstler bekam Uhlmann erst mit 50 Jahren, als | |
| er zum Hochschullehrer an die Berliner Hochschule der Künste berufen wurde. | |
| Zeichnen war parallel zum Bildhauerischen immer Teil von Uhlmanns | |
| Ausdrucksmöglichkeiten. Im Kunsthaus Dahlem kann man verfolgen, wie Uhlmann | |
| nach 1945 in wenigen Jahren immer abstrakter und „freier“ im Ausdruck | |
| wurde. Was anfänglich mit den Drahtköpfen als eine Auflösung der Masse hin | |
| zu räumlichen Gebilden sich andeutete, bildet sich in der Zeichnung ebenso | |
| ab als eine immer mehr ins Ungegenständliche fortschreitende Tendenz. Aus | |
| noch vage erkennbaren Figuren werden schließlich scheinbar völlig freie | |
| Formen mit geometrischen Anklängen, oder es entstehen rhythmische | |
| Strichfolgen. Diese schwarz-weißen Kohlezeichnungen scheinen in ihrer | |
| offenen, gleichsam löchrigen Komposition etwas von einem plastischen Raum | |
| zu bewahren. | |
| Allerdings wurden Uhlmanns Arbeiten seinerzeit eigentlich nur noch in | |
| musikalischen Begriffen beschrieben oder als Sichtbarmachung von | |
| (unsichtbaren) Kräften gedeutet, die der Gedankenwelt eines Ingenieurs | |
| entstammen. | |
| Mit einem Kunstgriff hat die Ausstellung in Dahlem nun die Tiefe der | |
| Räumlichkeit in Uhlmanns Zeichnungen in den Raum zurückprojiziert. Denn die | |
| Zeichnungen hängen an spiegelnden, im Raum stehenden Wänden, die Teile des | |
| Grundrisses der Berliner Philharmonie wiedergeben. Eine Idee des in Berlin | |
| lebenden Künstlers Albert Weis, der mit den leicht verzerrenden | |
| Spiegelwänden eine eigene Arbeit recycelte. | |
| Diese Präsentation holt Uhlmann zurück in eine Gegenwart, die wohl kaum | |
| noch nachvollziehen kann, welche Faszination von der Abstraktion in der | |
| Nachkriegsära ausging. Kurz gesagt: Abstraktion stand für Freiheit und | |
| Fortschritt (solange in der Kunst formal noch nicht alles ausprobiert und | |
| durchexerziert war). Abstraktion in der Kunst stand deshalb für Freiheit, | |
| weil sie als Sinnbild eines subjektiven Ausdrucks gelten konnte, der auf | |
| doktrinäre Schemata figürlicher Art wie im kommunistischen Machtbereich | |
| pfeifen konnte. Uhlmanns Erfolg damals war also auch Resultat eines | |
| Bekenntnisses zur individuellen Freiheit. | |
| Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 8, bis 19. Juni 2022. | |
| www.kunsthaus-dahlem.de | |
| Hans Uhlmann: „Tagebücher aus der Gefängniszeit 1933–1935“. Hatje Cantz | |
| Verlag, Berlin 2022, 320 Seiten, 28 Euro | |
| 26 Apr 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Ronald Berg | |
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