Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Terror im Heiligen Land: Zwei, die auszogen, um zu morden
> Für eine Nacht wirkt Tel Aviv wie eine Szene aus der Serie „Der Report
> der Magd“. Was den Täter trieb, ist Frustration und blinder Hass.
Bild: Trauer nach dem Attentat in Tel Aviv
Zur Zeit des letzten [1][Terrorattentats in Tel Aviv] saß ich – gar nicht
weit entfernt – mit zwei Freunden in einem Lokal – einer bayerischen Kneipe
im Zentrum der Stadt. Plötzlich bemerkten wir, wie die Leute in dem
Restaurant anfingen, besorgt auf ihre Handys zu starren. Es dauerte nur
wenige Minuten, bis auch schon die Sirenen der Polizei- und Krankenwagen zu
hören waren. Die Leute fingen an, das Lokal zu verlassen.
Wir blieben zwar, verzogen uns aber in die Bar im Keller und stellten uns
vor, dort so sicher wie in einem Bunker zu sein, der uns vor der
Wirklichkeit draußen, die uns zu diesem Zeitpunkt ein wenig verrückt und
absurd erschien, schützen würde. Als ich das Lokal verließ, um mit dem
Fahrrad nach Hause zu fahren, sah die Stadt aus wie ein dystopisches
Gelände; wie eine Szene aus der Serie [2][„Der Report der Magd“]: Überall
Polizei und Sondereinheiten; die Straßen wie ausgestorben.
Die ganze Nacht über durchkämmten Sicherheitskräfte Straßen und Hinterhöfe
auf der Suche nach dem Attentäter, der auf der Flucht war. Sie fanden ihn
Stunden später und erschossen ihn auf der Stelle. Raad Fathi Hasem aus dem
Flüchtlingslager Dschenin hat drei junge Männer, die im Ilka-Pub Bier
tranken, erschossen und sechs weitere Menschen verletzt. Was wollte er
damit erreichen?
Der für seine linke Haltung bekannte [3][Gideon Levy schrieb in der
Tageszeitung Ha’aretz], dass Hasem und viele wie er in einer Realität ohne
jeden Sinn, unter Besatzung aufgewachsen sind. Seine Tat bringe in erster
Linie seine Frustration darüber zum Ausdruck, dass er nicht so leben kann
wie die Leute in der Ilka-Bar. Wie üblich stieß der Text von Levy auf
großen Unmut und Widerspruch.
Es lässt sich schwerlich darüber streiten, dass Israel 1948 Hunderttausende
Palästinenser vertrieben hat und 1967 das Westjordanland militärisch
besetzte. Ebenso schwerlich lässt sich über das schreckliche Leid streiten,
das den Palästinensern in all den Jahren seit 1948 bis heute angetan wurde.
Aber es scheint, dass die sogenannte Palästinenserfrage heute unter dem
Einfluss und der Kontrolle von Gruppen steht, die auf
innerpalästinensischer Ebene politische und militärische Macht gewinnen
wollen.
Die Attentate auf israelisch-jüdische Zivilisten dienen den Interessen
dieser Gruppen, die im internen Machtkampf damit punkten können. Ein Teil
der Täter der jüngsten Anschläge identifizierte sich mit dem IS. Andere mit
der islamistischen Hamas. Sie haben nicht unbedingt das Ende der Besatzung
zum Ziel.
Sie wollen als Schahid sterben, als Märtyrer, sie streben eine islamische
Nation an, wollen „das Blut der Zionisten vergießen“, sich rächen oder
einfach „im Gesicht der Juden explodieren“, wie einst Samson im Alten
Testament, der den Tempel des Gottes Dagon zum Einsturz bringt und ruft:
„Meine Seele sterbe mit den Philistern!“ – nur, dass er ein Israeli des
Stammes Dan war, der ein Selbstmordattentat verübte.
Im Gegensatz zu den üblichen Reaktionen in vielen anderen Städten riefen
die Leute in Tel Aviv nicht „Tod den Arabern“, und die Politiker sahen
davon ab, die Bevölkerung anzustacheln. Die Leute kamen ganz still
zusammen, zündeten Kerzen an, und am Ende kehrten sie in die Pubs und Cafés
zurück – vielleicht ein Stück weit mit Verdrängung, vielleicht ein wenig
trauriger.
Tel Aviv ist ein bisschen wie die Küstenstädte der Philister, die eine
Anziehungskraft auf Samson hatten und die er zerstören wollte. Tel Aviv ist
bei den radikalen Juden so unbeliebt wie bei den Palästinensern. Vielleicht
überwinden sie sie und sie schmilzt im Schaum der Mittelmeerwellen, wie
eine Stadt der Philister, wie ein Traum.
23 Apr 2022
## LINKS
[1] /Anschlag-in-Tel-Aviv/!5848230
[2] https://www.youtube.com/watch?v=TVlc6P_eIKA
[3] https://www.haaretz.com/opinion/.premium-17-palestinians-have-been-killed-i…
## AUTOREN
Hagai Dagan
## TAGS
Israel
Terror
Hamas
Tel Aviv
Kolumne Fernsicht
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Westjordanland
Israel
Israel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Terrorwelle in Israel: Erneuter Anschlag nahe Tel Aviv
Bei einem Anschlag in der orthodox-geprägten Stadt Elad sterben mindestens
drei Menschen. Die palästinensischen Täter sind auf der Flucht.
Spannungen auf dem Tempelberg: Gegenseitige Provokationen
Israelis und Palästinenser:innen provozieren sich gegenseitig,
dennoch bleibt es zu Pessach relativ ruhig. Der Druck auf beiden Seiten
wächst jedoch.
Israel-Palästina-Konflikt: Steigende Spannungen
Nach den Anschlägen eskaliert die Lage weiter. Palästinenser verwüsten das
Josefsgrab, das israelische Militär tötet vier Palästinenser*innen.
Anschlag in Tel Aviv: Mutmaßlicher Attentäter erschossen
Israelische Sicherheitskräfte haben einen 28-jährigen Palästinser getötet.
Er soll zuvor in Tel Aviv mindestens zwei Iraelis erschossen haben und war
seitdem flüchtig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.