# taz.de -- Eine Frau von 60 Jahren | |
> Die Schriftstellerin Deborah Levy denkt in dem Buch „Ein eigenes Haus“ | |
> klug über die Herausforderungen eines neuen Lebensabschnitts nach | |
Von Carola Ebeling | |
Wie könnte er aussehen, ein „knapp sechzigjährige(r) weibliche(r) | |
Charakter“, der nicht Stereotypen sogenannter älterer Frauen entspricht? | |
Das beschäftigt die 1959 in Südafrika geborene britische Schriftstellerin, | |
Theater- und Drehbuchautorin Deborah Levy. Wiederkehrend taucht diese Frage | |
in „Ein eigenes Haus“ auf, dem letzten Teil ihrer auf eine Trilogie | |
angelegten „living autobiography“. Es ist die Idee eines autobiografischen | |
Schreibens, das nicht in einem großen Rückblick auf das Leben ansetzt, | |
sondern entsteht, während das Leben stattfindet. | |
Für die zwei ersten Bände, „Was ich nicht wissen will“ (2013) und „Was … | |
Leben kostet“ (2018), wurde die Autorin 2020 mit dem Prix Fémina étranger | |
ausgezeichnet. Ging es im vorigen Buch viel um den Bruch, den die Trennung | |
von ihrem langjährigen Ehemann bedeutete, sieht sich Levy nun, kurz vor | |
ihrem 60. Geburtstag, vor andere Herausforderungen gestellt. Auch die | |
zweite Tochter zieht jetzt aus. Will sie, künftig auf neue Weise allein, in | |
dem heruntergekommenen Wohnblock im Londoner Norden bleiben, in den sie | |
nach der Scheidung gezogen ist? | |
Die Sehnsucht nach einem eigenen Haus, von dem sie weiß, dass sie es sich | |
nie wird leisten können, ist ein roter Faden des Buches, doch steht die | |
„Im(aginär)mobilie“ für viel mehr als ein konkretes Haus. | |
„(Ich) hatte keine Ahnung, wie ich einen knapp sechzigjährigen weiblichen | |
Charakter darstellen sollte“, heißt es selbstironisch in einer sie leicht | |
überfordernden Alltagssituation. Die Formulierung verrät etwas über Levys | |
autobiografisches Schreiben, in dem das „Ich“ der Autorin und die | |
Erzählstimme sich zwar sehr ähnlich, jedoch nicht vollkommen identisch | |
sind. | |
Man darf der Autorin in ihren assoziativen Gedankengängen, ihren szenischen | |
Verdichtungen von Begegnungen, ihren darin aufscheinenden auch | |
gesellschaftspolitischen Haltungen – insbesondere bezüglich der Situation | |
von Schriftstellerinnen – unbedingt trauen. Was sie über ihr Schreiben, | |
ihre Ehe, über Wünsche, Scheitern und Erfolge erzählt – es sind ihre | |
Erfahrungen. Zugleich weist Levy aber über das nur Individuelle hinaus. | |
Das geschieht zum einen in der Spiegelung mit anderen Frauen; Begegnungen | |
mit Freundinnen verschiedenen Alters (und ihrem besten Freund) gliedern den | |
Text. Aber auch in der Aufrufung vieler Autorinnen, deren Zitate die | |
geschilderte Situation in der Schreibgegenwart erhellen, den Gedankenraum | |
weiten. Zudem führt sie Diskussionen mit Filmleuten über die akzeptierte | |
Ausgestaltung älterer weiblicher Filmfiguren: „Einnehmend“ sollen sie sein. | |
Die engen Grenzen offenbaren gesellschaftliche Vorstellungen, die Levy | |
wiederum mit sich selbst abgleicht. | |
Es ist ein Vergnügen, Levy unter anderem nach Paris und Mumbai zu folgen, | |
wohin sie Schreibstipendien führen. Der Text ist von einer fließenden | |
Leichtigkeit getragen, dabei aber ganz durchkomponiert: Situationen, Themen | |
fügen sich assoziativ aneinander, scheinen abgeschlossen, werden jedoch in | |
kleineren und großen Kreisbewegungen erneut verknüpft und nochmals neu | |
beleuchtet. | |
Ein Verfahren, das abgewandelt auch ihre Romane auszeichnet. Und dort wie | |
hier sind in Levys schönem Witz das Schwere und Traurige eingelassen. | |
Das eigene Haus – Virginia Woolfs Zimmer für sich allein lässt grüßen – | |
steht auch für das, was im eigenen Leben als wertvoll zu erachten ist. Was | |
sind, in diesem Sinne, die „Besitztümer“ von Frauen? Das selbst zu | |
bestimmen, ist die große, nicht endende Herausforderung. | |
Die Autorin Deborah Levy versteht es auf inspirierende und kluge Weise, | |
Ermutigung und Unsicherheit nebeneinander stehen zu lassen. Stärke und | |
Fragilität. Immer beides. | |
5 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Carola Ebeling | |
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