# taz.de -- Vor Sanierung gemalt | |
> Waste Management als Kunstkonzept: Der Schweizer Künstler Christoph | |
> Hänsli malt, was im Alltag verschwindet, darunter architektonische | |
> Details. Zu sehen in der Galerie Judin | |
Bild: Christoph Hänsli, „Universitätsspital Zürich“, 2020, Acryl auf Lei… | |
Von Renata Stih | |
„Hauptschalter aus?“ steht auf einem kleinen Bild, das zu Beginn des | |
Rundgangs durch die Galerie Judin ins Auge springt. Es hängt an einem | |
Holzbrett, aber nur scheinbar, denn das Ganze ist täuschend genau gemalt, | |
nach einem Aushang im Sonnenobservatorium Schauinsland im Schwarzwald, wie | |
die Bildunterschrift verrät. Beim Gehen durch die Ausstellung merkt man, | |
dass dieses Zusammenspiel von Informationen programmatisch ist für die | |
konzeptuelle Malerei von Christoph Hänsli. | |
Seit Jahren befasst sich der Schweizer Künstler mit Gegenständen, die man | |
im Alltag kaum bemerkt, oder Dingen, die im Verschwinden begriffen, | |
abgenutzt sind, entsorgt werden sollen, und holt sie aus der | |
Bedeutungslosigkeit auf die Leinwand, betreibt eine Art Waste Management | |
als Kunstkonzept. Hänsli bedient sich klassisch-künstlerischer Techniken | |
und malt, mit leidenschaftlicher Akribie, serielle Stillleben mit Eitempera | |
und Acryl. Dieser Hyperrealismus macht deutlich, wie ernst es ihm mit dem | |
Thema ist; er lenkt den Blick auf Gegenstände aus Abrissbauten und | |
altmodischen Einbauten, macht uns bewusst, was so alles an noch brauchbarer | |
Architektur in unseren Städten leichtsinnig abgerissen und an Baumaterial | |
weggeschmissen wird. | |
In dieser Galerie interessiert man sich für solche Diskurse: Schon vor | |
Jahren hat Jörg Judin eine nicht mehr funktionstüchtige Tankstelle | |
Potsdamer- Ecke Bülowstraße entgiftet, begrünt, mit Enten besiedelt, das | |
50er-Jahre-Design konserviert und zum Ausstellungsort umgedeutet. Diese | |
erweiterte Tankstelle wird in Kürze den George-Grosz-Nachlass aufnehmen und | |
das Erbe des bedeutenden Berliner Künstlers, der vor den Nazis in die New | |
Yorker Emigration flüchten musste, konservieren und präsentieren. | |
Für die mehr als 30 Gemälde in den großen Galerieräumen im ehemaligen | |
umgenutzten Tagesspiegel-Gebäude inspizierte Hänsli das Innenleben von zwei | |
bedeutenden deutschen Institutionen, das der Kunsthalle Bielefeld und des | |
Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, | |
dessen Gendatenbank aufgrund ihrer botanischen Vielfalt und des Umfangs | |
eine der weltweit größten Sammlungen dieser Art beherbergt. | |
An der denkmalgeschützten Bielefelder Kunsthalle, vor fünfzig Jahren vom | |
US-Architekten Philip Johnson erbaut, interessierten Hänsli aber nicht die | |
Kunstsammlungen, sondern die bevorstehenden Veränderungen der technischen | |
Anlagen bei der Sanierung, wie Strom- und Lüftungsanlagen. Im ersten | |
Galerieraum finden sich Darstellungen dieser technischen Elemente, die zwar | |
für das Funktionieren eines Museums notwendig sind, die man aber gern im | |
Unsichtbaren verbirgt und als unbedeutend empfindet. Es sind zeichenhafte | |
Malereien, die einerseits abstrakt sind und doch Abbild von etwas Realem, | |
beiläufige Dinge gewinnen an Bedeutung, man nimmt sie auf einmal wahr. | |
Mit der Bilderreihe fühlt man sich in die Zeit nach der Wende versetzt, als | |
Gebäude verlassen und industrielle Zeichen zurückblieben als sentimentale | |
Objekte und Zeugnisse vergangener Arbeitsprozesse und überholten Designs | |
wie Schalttafeln, Messgeräte, Lichtschalter. | |
Bildtitel sind bei Hänsli eine Informationsquelle und Bestandteil des | |
Kunstwerks. Man liest: „Abfluss“, „Maschinenraum“, „Panikbeleuchtung�… | |
Bilder sind zugleich Reliefs, die dem Original täuschend ähnlich sehen und | |
sogar Flecken und Abnutzungen aufweisen. Nach eigener Aussage misst er die | |
Objekte am Ort aus und malt sie im Maßstab 1:1 aus der Erinnerung im | |
Atelier, oft in mehreren Varianten. | |
Der zweite Teil der Ausstellung ist den Sammlungen des Instituts für | |
Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung gewidmet. Hänsli stellt | |
heimische Pflanzen vor; ordentlich aneinandergereiht hängen Abbildungen von | |
Präparaten eingelegter Früchte und getrockneter Pflanzen, die vor dem | |
Aussterben bewahrt werden sollen. Dazu gehören Darstellungen von „Kirschen | |
in Maraschino“, „Gurken in Essig“ als mehrteilige Serie, auch verschiedene | |
Nasspräparate in Gläsern, mit Riesenkürbis, Lauch, einem großblütigen | |
Stechapfel. Die Ährensammlung Weizen wird sorgfältig gestapelt in einem | |
Regal aufbewahrt, ebenso das Herbarium Lauch – es entsteht eine | |
Wunderkammer aus der Natur. | |
Insgesamt ist es eine tiefgründige, ironische, analytische Ausstellung, | |
ganz präzise in den museumsartigen Räumen von Pay Matthis Karstens | |
inszeniert, die über Vergänglichkeit von Technik und Natur reflektiert. | |
Auch die Geografie dieser Objets trouvé findet sich manchmal auf den | |
Labels. Am Ende des Rundgangs erfährt man auch, wo das Schild mit dem | |
Urinbecher zu finden ist: im Universitätsspital Zürich. | |
Christoph Hänsli, „Panikbeleuchtung“, Galerie Judin, bis 9. April | |
1 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Renata Stih | |
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