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# taz.de -- Für immer Siedler bleiben
> Eine patriotische, jedoch höchst subjektiv chiffrierte Malerei ist in der
> Ausstellung der amerikanischen Künstlerin Georgia O’Keeffe in der
> Fondation Beyeler bei Basel zu sehen
Bild: Georgia O’Keeffe, „Pelvis with the Distance“, 1943, Indianapolis Mu…
Von Ulf Erdmann Ziegler
Im November 1887 auf einem Milchbauernhof in Wisconsin geboren, hatte
Georgia Totto O’Keeffe mehr als 98 Jahre vor sich. Dass sie Farben, Flächen
und Formen dort sah, wo andere eher die Gewöhnlichkeit eines Weizenfeldes
vermuteten, ist ihr selbst früh aufgefallen. Ausgebildet in Chicago und New
York, kreuzten sich ihre Wege gelegentlich mit dem Fotografen, Galeristen
und Impresario Alfred Stieglitz. Sie schickte ihm aber ihre forschen,
konstruktivistisch anmutenden Kohlezeichnungen über eine Botin. Er stellte
sie aus; es folgt eine Amour fou mit dem 23 Jahre älteren Mann. Er empfahl
ihr, von Aquarellen zu lassen und zur Ölmalerei zu wechseln. Der Rest,
möchte man meinen, sei Geschichte.
Aber welche? Ist sie eine Illustratorin von Stereotypien des amerikanischen
Westens, eine unendliche Quelle für wolkige Kalenderblätter, das
berühmteste Aktmodell der modernen Fotografie an deren Beginn? Oder eine
Art Edward Hopper natürlicher und übernatürlicher Erscheinungen? Die
US-Version von Frida Kahlo? Eine ins „Geistige“ der Kunst emigrierte
Phantastin wie Hilma af Klint, plus 1A-Marketing?
In Europa ist die Malerin Georgia O’Keeffe jedenfalls erst in diesem
Jahrhundert angekommen. Die Retrospektive des Centre Pompidou macht gerade
in Riehen bei Basel, in der Fondation Beyeler, Station. Sie reicht vom
Laid-back-Aquarell „Ohne Titel (Zelttür bei Nacht)“, 1916, bis zum Gemälde
„Meine letzte Tür“ (1952–54), eine ironische Anleihe bei der
Farbfeldmalerei. Die Tür ist hier die schwarze Aussparung in einer nahezu
weißen Wand.
Anfangs ringt sie sehr mit Stieglitz’Rat: die Ölfarbe ist zu massiv
aufgetragen, kommt aber nicht in Bewegung. Bald findet sie heraus, dass die
Oberfläche für sie nichts hergibt. Es geht nicht ums Malen, es geht ums
Schauen. Im Akt des Schauens geht es um das Fühlen. Und was dabei wächst,
ist ein malerisches Gefühl für die Unverwechselbarkeit eines Ortes.
Von ihrer Terrasse in New Mexico aus betrachtet sie die öden Berge, die
lokal „Badlands“ genannt werden. In ihrem Bild „Grey Hill Forms“ sind s…
böse Geister geworden, fast immateriell, in einem grauenhaften kollektiven
Ritus festgehalten; in „Black Hills with Cedar“ spreizt eine Riesin ihre
rosa Beine, die schwarzen Brüste gegen den blauen und weißen Himmel
gewölbt. Die nahe, scharfe grüne Zeder ist dem monumentalen Körper als
Scham oder Sichtblende vorgestellt.
Nie kommt ein Mensch ins Bild, es sei denn als Schädel. Und der Rehbock
materialisiert sich als frontal betrachtetes Skelett vor dem Horizont,
seine Hörner die Bilddiagonale auslotend. Anfangs bringt sie ihre Motive
mit zurück an den Lake George, upstate New York, wo Stieglitz auf einem
Anwesen seiner Herkunftsfamilie weilt; sie malt sie dort. Während er, am
Anfang jedes Jahres und dann für sein ganzes Leben ihr in New York eine
Ausstellung einrichtet, baut sie ihre Residenzen im Westen aus, von der
einen zur anderen pendelnd zwischen den Jahreszeiten. Sie tankt die
Materialität der Landschaft, hier kristallin, dort Staub. Was in
Reproduktionen ihrer Gemälde als manieristische Wolkigkeit erscheint, ist
bei näherer Betrachtung in Farbe übersetztes Licht.
Renzo Pianos Pavillon für die Fondation Beyeler hat einiges Tageslicht von
der Decke her, aber das winterliche Westlicht reicht direkt nur partiell
durch Tore in die Ausstellungsräume und wandert dort, im Sekundentakt, in
goldenen Flammen weiter. Der Rest ist künstliche Beleuchtung, was aber
während des Nachmittagsbesuchs des Kritikers auf krasse Weise illustriert
wird, indem diese ausfällt. Der Ausstellungsbereich wird nicht geschlossen,
aber es gibt kaum noch Leute dort. So wandern wir wenigen Verbliebenen
durch dunkel-grau-blaue Höhlen und übernatürlich durch die bald
untergehende Sonne beleuchtete Räume. Man ahnt das Skelett dieser
Architektur.
So wird, wenn auch durch eine technische Panne, die innere Qualität der
flachen, komplett grafisch durchstrukturierten Gemälde von nur Buchformat
bis Superbreitwand sichtbar oder vielmehr spürbar: ein Mantra, ein
Flüstern, eine Beschwörung, ein Gesang. Dessen Refrain lautet: „This land
is your land, this land is my land, from California to the New York
Island.“ Es ist eine ganz und gar patriotische, jedoch höchst subjektiv
chiffrierte Malerei, die alle verfügbaren Infos aus Europa abgesaugt hat,
um sie in etwas Uramerikanisches zu transferieren, was die Bildsymbole der
indigenen Völker einschließt.
Georgia O’Keeffe liegt kunstgeschichtlich zwischen Vincent van Gogh und Ed
Ruscha (der eine für den Animismus, der andere für die Coolness der Vista),
mentalitätsgeschichtlich zwischen Walt Whitman und Patti Smith: eine
Tradition, in der die sexuelle Identität sich mit der Selbstschau des
demokratischen Bürgers verschränkt, der für immer Siedler bleibt, Anfänger
ein Leben lang.
O’Keeffe wird seit hundert Jahren nachgesagt, ihre Message sei letztlich
„Sex“. Genauso könnte man sagen: sich selbst zu überleben. Als die Lichter
wieder angehen, ist der Schock massiv.
Georgia O’Keeffe, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, bis zum 22. Mai
2022. Katalog, 208 Seiten, 58 Euro
17 Feb 2022
## AUTOREN
Ulf Erdmann Ziegler
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