# taz.de -- Für diese Männer passen altmodische Wörter | |
> Andreas Homoki holt an der Komischen Oper Berlin „Schwanda, der | |
> Dudelsackpfeifer“ zurück auf die Bühne | |
Bild: Schwanda in der Hölle | |
Von Niklaus Hablützel | |
Die Scheibe der Drehbühne ist bedeckt mit vertrockneter Erde, zertretenen | |
Grasbüscheln und Abfall. In der Mitte steht ein Baum. Keine Weltesche, aber | |
ordentlich gewachsen mit stattlicher Krone. Nur die Blätter fehlen, und die | |
kahlen Äste glitzern seltsam silbern. Man hat viel Zeit, dieses Bild zu | |
studieren. Es steht schon auf der Bühne, bevor die Vorstellung beginnt. | |
Rätselhaft ist es nicht, irgendetwas Schlimmes muss mit diesem Baum | |
geschehen sein. | |
Klima, Corona, Krieg. Für all das könnte dieser Baum stehen, aber wir sind | |
nicht bei „Tagesschau“, sondern in der Oper, der Komischen, bei Andreas | |
Homoki, der sie einst aus den Trümmern der DDR gerettet und dann Barrie | |
Kosky übergeben hat. Der Dirigent kommt, der Baum verschwindet hinter einem | |
schwarzen Vorhang, die Ouvertüre beginnt im Dunkeln. | |
Ein wenig rätselhaft wird es jetzt doch. Die Uraufführung fand 1927 statt. | |
Holzbläser pfeifen schrille Signale, warme Hörner dämpfen sie ab, die | |
Streicher entwickeln polyphone Muster unter Melodien, die allesamt | |
Volkslieder sein könnten. Es klingt nach slawischer Dorfromantik, Smetana | |
und Dvořák vor allem. Ein Sammler scheint unbekannte Einzelstücke dieses | |
Stils ausstellen zu wollen. Klare Vorlieben sind nicht zu erkennen, aber es | |
macht so viel Spaß, dem Orchester unter Ainars Rubikis Leitung zuzuhören, | |
dass die Provenienzfragen langweilig werden. Jaromír Weinberger hat diese | |
Musik geschrieben, der einmal über sich selbst sagte, er sei ein Komponist | |
von gestern. | |
Der Vorhang geht hoch. Der Baum steht jetzt mit satten grünen Blättern da, | |
das Gras der Wiese strotzt vor Saft. Das ist Homokis Handschrift: Ihm | |
genügt ein einziges Bild für ein ganzes Werk. Es zeigt seinen Sinn in | |
seiner Zeit, und zugleich so, dass auch die Distanz zur Gegenwart sichtbar | |
bleibt. Deshalb musste der Baum vor der Vorstellung entblättert dastehen. | |
Bühnenbildner Paul Zoller hat ihn so prächtig entworfen, wie er am Ende | |
sein muss: in voller Blüte, nicht als Umweltleiche. | |
Es ist ein Glücksbaum. Eine Frau wartet auf den Mann, den sie neulich | |
geheiratet hat. Kiandra Howarths Sopran klingt dafür manchmal etwas hart, | |
aber kräftig genug für das Eheglück ist er allemal. Tenor Tilmann Unger | |
purzelt aus den Ästen. Er ist Babinsky, der Dieb. Der Bariton Daniel | |
Schmutzhardt kommt von der Landarbeit nach Hause. Er ist Schwanda, sein | |
Dudelsack hängt am selben Baum. | |
Die Frau ist keine Rächerin ihres Geschlechts, der Räuber kein | |
Gangsta-Rapper und der Dudelsackpfeifer kein Teenie-Star. Das wären sie | |
heute wohl mindestens im Theater, aber Homokis Meisterschaft besteht darin, | |
glaubwürdige Figuren zu zeichnen, die es heute nicht mehr gibt. Für seine | |
Männer passen nur altmodische Wörter: „arglos“, „bodenständig“ oder | |
„herzlich“, eben so, wie eine Frau ihren Ehemann lieben möchte. | |
Dass es diese Welt nie gab, wusste der 1896 geborene Weinberger vielleicht | |
besser als seine streitbareren Zeitgenossen, die sich in Wien hinter | |
Schönberg oder in Prag hinter Janáček versammelten. Er war Jude, floh vor | |
den Nazis, wurde in den USA vergessen und nahm sich 1967 das Leben. | |
Trotzdem ist sein Stück eine Komödie. Die beiden Männer sind alte | |
Volkslegenden. Weinberger schickt sie in die Moderne hinaus. Oben herrschen | |
dort eine Frau ohne Herz und ein Magier mit Guillotine, großartig gesungen | |
von Ursula Hesse von den Steinen und Jens Larsen. Unten liegt die Hölle von | |
Philipp Meierhöfer, dem Bass, der sich als Teufel langweilt. | |
Für beide Schauplätze hat Zoller klare Kulissen entworfen: Eine Showtreppe | |
schraubt sich als Betonspirale des Kapitalismus in die Höhe, die Hölle | |
darunter ist ein stählerner Bunker. Räuber und Dudelsackpfeifer kommen mit | |
Witz und List durch, die Frau eilt ihren Volkshelden hinterher. Sattes | |
Theater ist das, unterhaltsam in jeder Szene. Ein bisschen Eifersucht | |
zwischendurch bestätigt am Ende das Glück der Heimat unter dem Dorfbaum. | |
Man möchte den Baum gern utopisch nennen, aber er wird zu einem Märchen der | |
Vergangenheit. Es wird ihn nie geben. Wir sind in der Oper. Wenn man nicht | |
zu lange für den Applaus sitzen bleibt, reicht es noch für die | |
„Tagesthemen“. Mit Weinberger und Homoki versteht man sie besser. | |
7 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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