# taz.de -- Das Flüstern des Gummibaums | |
> Die Nachwuchs-Fotoausstellung „Gute Aussichten“ im Hamburger PHOXXI ist | |
> vor allem heterogen | |
Bild: Leuchtende Augen mit Hand und Fuß | |
Von Falk Schreiber | |
Wie überraschend Konvention sein kann! Im zweiten Stock der „Gute | |
Aussichten“-Ausstellung im Hamburger Phoxxi sieht man die Serie „The | |
Evidence of Jahalin“ von Tina Schmidt und Kerry Steen: zwölf klassische | |
Reportagefotografien, Nahost-Ästhetik wie aus dem Lehrbuch, staubig, | |
trocken, trostlos. Schmidt und Steen dokumentieren das Leben der | |
Jahalin-Beduinen, die 1975 beim Bau der israelischen Siedlung Ma’aleh | |
Adumim im Westjordanland vertrieben wurden, und dass diese Fotoserie trotz | |
ihres nüchternen Gestus das Narrativ einer verbrecherischen israelischen | |
Politik allzu ungebrochen bedient, zeigt vor allem, welche Fallstricke | |
lauern, wenn junge Fotograf*innen sich unkritisch auf altbewährte | |
Ästhetik verlassen. Im Kontext von „Gute Aussichten“ ist das eine | |
Überraschung. | |
## Allerdings Hermetik | |
„Gute Aussichten“, das ist seit 17 Jahren eine durch die Bundesrepublik | |
tourende Ausstellung, in der Absolvent*innen der wichtigsten deutschen | |
fotografischen Ausbildungsstätten ihre Arbeit präsentieren, ausgewählt von | |
einer in diesem Jahr neunköpfigen Jury. Nach Stationen in Dortmund und | |
Koblenz wird die Ausstellung nun im Deichtorhallen-Ausweichquartier Phoxxi | |
gezeigt. Dabei erweist sich, dass wahrscheinlich kaum ein bisheriger | |
Jahrgang so heterogen war wie dieser. | |
Auf den ersten Blick wirkt es, als würde auch Conrad Veit (Hochschule für | |
Bildende Künste Braunschweig) dokumentarisch arbeiten, wie Schmidt und | |
Steen aus Bielefeld: Sein Film „Blastogenese X“ nimmt die Form klassischer | |
Naturdokus auf und spielt einem mit flackernder Schwarzweißoptik eine | |
gewisse Vintage-Stimmung vor. Allein: „Blastogenese X“ ist keine echte | |
Dokumentation. Es ist eine Performance, und das Vogelwesen, das da durch | |
eine ausgesucht öde Landschaft kriecht, ist eine nackte Frau. Als Spiel ist | |
das reizvoll, sobald man den gestellten Charakter allerdings erkannt hat, | |
denkt man an längst überholte 70er-Jahre-Performancekunst. | |
Interessanter ist Leon Billerbecks (Bauhaus-Uni Weimar) | |
Mixed-Media-Installation „Ataxia“, die sich mit der Ataxie seines Vaters | |
auseinandersetzt, einer neurologischen Erkrankung, die eine Störung der | |
Bewegungskoordination zur Folge hat. Billerbeck löst sich hier konsequent | |
vom Abbildungsideal, das Ergebnis ist eine bewusst disparate | |
Materialsammlung, die von weißem Rauschen auf einem Bildschirm zu grob an | |
die Wand gepinnten Skizzen führt. Die Entwicklung, dass Fotografie nur noch | |
als Basis für eine Kunst fungiert, die stark ins Installative ausgreift, | |
war in den vergangenen Jahren mehr vertreten. | |
Distanzierter als Billerbeck arbeitet Konstantin Weber (Freie Kunstakademie | |
Mannheim) mit „Squares“, einer formalistischen Installation, die keine | |
Bilder im eigentlichen Sinn mehr erzeugt, sondern nur noch Daten | |
organisiert, die dann auf Smartphone-Bildschirmen entschlüsselbar sind. | |
Sophie Allerdings „Leuchtende Augen“ verabschieden sich derweil mit | |
verschobenen Extremitäten und massiven Überblendungen von vornherein in | |
die Hermetik. Immerhin: Ein Gummibaum hat einem etwas zu sagen, leise | |
flüstert er auf Portugiesisch vor sich hin. | |
Wie Allerdings kommt auch Robin Hinsch von der Hamburger Hochschule für | |
angewandte Wissenschaften. Seine Serie „Wahala“ wirft mit 18 Aufnahmen | |
Schlaglichter auf die globale Rohstoffindustrie. Kühltürme qualmen, | |
Rodungsfeuer frisst sich durch Wälder, und ein müder Bergmann starrt mit | |
schweren Lidern in die Kamera. Hinschs Fotografien sind von | |
beeindruckender Dichte, nur zeigen sie eine Grenze auf, an die solche | |
Arbeiten zwischen Kunst und Dokumentation immer wieder stoßen: Sie sehen | |
atemberaubend schön aus. Als Zugang zu ökonomischen | |
Ausbeutungsverhältnissen ist das nicht unproblematisch. | |
## Klug, aber langweilig | |
Entwaffnend ambitionslos gibt sich schließlich Jana Ritchie (Hochschule für | |
Grafik und Buchkunst Leipzig) mit „Familie Ritchie“. Zu sehen sind zwölf | |
Aufnahmen von ebenjener Familie Ritchie, vier Frauen unterschiedlichen | |
Alters, die auf jedem Bild genau gleich dreinschauen: desinteressiert, | |
teilnahmslos, leer. Ritchie möchte mit ihnen „die Ambivalenz des | |
klassischen Familienideals“ thematisieren, und tatsächlich ist „Familie | |
Ritchie“ in seiner formalen Kälte eine kluge Dekonstruktion der | |
ideologischen Aufladung dieses Begriffs. Nur leider bleibt die Serie | |
genauso langweilig wie die Blicke der Familienmitglieder hier in Richtung | |
Kamera. | |
Gute Aussichten bis 1. Mai, Deichtorhallen/Phoxxi, Hamburg | |
21 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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