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# taz.de -- Im Ozean der Zeichen
> Wiedergeburt der Kunst nach der Pandemie: Mit einer rauschhaften
> Installation im Kunstverein in Hamburg fragt Korakrit Arunanondcha nach
> Wegen zurück ins Leben
Bild: Geflügelter Mensch mit Feuerspuren: Songs for Dying / Songs for Living, …
Von Falk Schreiber
Schummerlicht. Es riecht süßlich, ein sanfter Nebel zieht durch den ersten
Stock des Hamburger Kunstvereins, Kerzen flackern vor einem Grabhügel. Und
ein blaues Leuchten führt einen in einen Seitenraum: Eine riesige Videowand
ist hier aufgebaut, Sitzkissen sind verteilt, außerdem sind die
Außenfenster mit blauer Folie beklebt, so dass der Raum zwar hell ist, aber
gleichzeitig auch in einem unwirklichen Dämmern gefangen. Man sinkt also in
ein Kissen, man dämmert. Und man schaut: Korakrit Arunanondchais Film
„Songs für living“.
Korakrit Arunanondchai, geboren 1986 in Bangkok und heute zwischen New York
und Thailand pendelnder Multimediakünstler, hat für die letzte Ausstellung
unter der scheidenden Kunstvereins-Direktorin Bettina Steinbrügge als
Koproduktion mit dem Züricher Migros-Museum für Gegenwartskunst zwei Videos
in einer raumgreifenden Installation zusammengestellt: „Songs for living“,
entstanden während des Coronalockdowns, als Arunanondchai in Bangkok
festsaß, während sein künstlerischer Partner Alex Gvojic in New York
arbeitete.
Es geht um die Reorganisation von Kunst nach der Unterbrechung von
Netzwerken und die Rückkehr ins Leben, es geht um einen Zustand des
Übergangs. „Songs for dying“ dagegen schließt die Erinnerung an den
gestorbenen Großvater des Künstlers mit dem genozidähnlichen Jeju-Massaker
1948 auf der südkoreanischen Insel Jeju kurz, um von dort eine Brücke zu
den Protesten gegen die autoritäre thailändische Regierung 2020 zu
schlagen. Individuum und Gesellschaft, mikro und makro, Geschichte und
Religion, Politik und Kunst – alles fließt ineinander, Grenzen werden
unbedeutend. Und dazwischen liegt der Tod, die Friedhofslandschaft, die man
durchwandert, wenn man vom „Songs for living“-Vorführraum zu „Songs for
dying“ geht.
Das Ergebnis ist eine Reizüberflutung. „Songs for living“ ist geprägt von
rituellen Strukturen, man sieht halbnackte Menschen, die sich nachts an
einem Strand in Trance tanzen, Blut wird getrunken, es laufen Freakfolk,
Choräle, Extreme Metal.
In einer irritierend realistischen Szene beobachtet man konspirative
Handelsbeziehungen, junge Menschen rasen mit Motorrädern durch
Hochhausschluchten und überbringen blutige Fleischbeutel. Und plötzlich
befindet man sich am Meeresboden: Die Kamera gleitet über Korallenfelder,
man erkennt Fischschwärme, dann eine halbverfallene Pipeline, worauf die
Kamerafahrt der Beton-Stahl-Struktur folgt, in die Tiefen des Meeres. Ein
paar Minuten, dann begegnet man einer Riesenschildkröte, deren ruhigen
Bewegungen der Film nachspürt, weg von der industriellen
Unterwasserstruktur. Und die einen als Motiv mitnimmt zu „Songs for dying“.
Wirklich verstehen lassen sich die beiden Filme nicht, eher erspüren. Das,
was Arunanondchai hier macht, hat viel zu tun mit der in Thailand häufig
anzutreffenden Vermischung von Animismus und Bildender Kunst, hier
angereichert einerseits mit dem politischem Bewusstsein des Künstlers,
andererseits mit einem Gespür für westliche und internationale Popkultur,
das sich im Musikeinsatz zeigt und in den Inszenierungen von
Stadtlandschaften. Wichtig sei für ihn der südafrikanische Dokumentarfilm
„My Octopus Teacher“ gewesen, und tatsächlich tauchen auch in seinen
eigenen Filmen immer wieder Tintenfische und Tentakel auf. Ein Ozean der
Zeichen, der in ständiger Bewegung Thailand und Korea, Südafrika und New
York miteinander verbindet.
Dass sich dieser Ozean der Zeichen im Grenzbereich zwischen Bildender Kunst
und Kino erstreckt, verwundert nicht. Gerade in der thailändischen Kunst
ist dieses Feld tatsächlich wichtig für das Zusammendenken
unterschiedlicher Ebenen, am deutlichsten vielleicht bei Apichatpong
Weerasethakul: Der hatte einerseits für seinen 2010 entstandenen Film
„Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ die Goldene Palme in
Cannes erhalten, andererseits 2012 mit einer Skulptur an der documenta
teilgenommen. Auch bei Weerasethakul sind Totengedenken und Geisterglaube
zentrale Motive, die immer wieder in seiner Arbeit auftauchen.
Arunanondchai nun beschreibt das in „Songs for dying“ dargestellte
Beerdigungsritual mit dem intensiven Verhältnis, das er zu seinem Großvater
gehabt habe, koppelt diese Beschreibung allerdings mit der Beobachtung,
dass das Leben im Mehrgenerationenzusammenhang im Globalen Süden die Regel
sei. Auch hier: Vermischung von Intimität und Soziologie. Groß und klein.
Für den westlichen Betrachter ist dieser Zugriff nicht unproblematisch. Man
sieht Motive, die man glaubt, einordnen zu können, aber diese Motive sind
Teil eines größeren Bildreservoirs, in dem man sich nicht mehr
zurechtfindet. Man hört die harten Rockgitarren, man sieht die historischen
Bezüge, man versteht die Actionszenen, womöglich kann man auch die Rituale,
die Tänze am Strand und das Trinken von Blut irgendwie nachvollziehen, aber
im Zusammenspiel ergeben sie eine Kakofonie der Bedeutungen, die sich nicht
zu einem Ganzen fügen will. Also sinkt man tiefer in die Sitzkissen und
gibt sich dem Flow hin.
Denn das ist „Songs for dying / Songs for living“ eben auch: ein ästhetisch
beeindruckendes Gesamtkunstwerk, Sound, Licht, Bild, Geruch. Keine
Überwältigung in Schönheit, eher ein Ansturm einander widersprechender
künstlerischer Strategien, gegen die man sich irgendwann nicht mehr wehren
kann.
Ein Drogentraum, aber einer, in dem immer wieder ein Absturz droht, in dem
Blut durch Mundwinkel schwappt, in dem gestorben wird und gemordet, und in
dem die Grauen der Geschichte sich in geisterhaften Erinnerungen
manifestieren. Schummerlicht, sanfter Nebel.
Korakrit Arunanondchai: Songs for dying / Songs for living: bis 20. 2.,
Hamburg, Kunstverein
19 Jan 2022
## AUTOREN
Falk Schreiber
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