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# taz.de -- Im Lampenladen
> Eigentlich hätte das Künstlerduo Drift den fünften Geburtstag der
> Hamburger Elbphilharmonie gestalten sollen. Das wurde wegen Corona
> verschoben. Eine kleine Werkschau zeigt nun das Museum für Kunst und
> Gewerbe
Bild: Technik organisch: Für „Fragile Future III“ (2005) wurden Löwenzahn…
Von Falk Schreiber
Wie Quallen schweben die Objekte durch das Treppenhaus. Kleine, von innen
beleuchtete Stoffschirme, bewegen sich lautlos auf und ab, im Sinken bläht
sich ihr Stoffkleid, im Heben zieht es sich zusammen. Schön. In seiner
sanften, stillen Schönheit allerdings auch ein wenig gefällig, was sich da
gerade im zentralen Aufgang des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe
(MKG) erleben lässt.
Dieser Tage feiert die Hamburger Elbphilharmonie ihren fünften Geburtstag.
Intendant Christoph Lieben-Seutter wünschte sich zum Jubiläum eine
Kunstaktion, etwas Spektakuläres, das über das erwartbare Feuerwerk
hinausweist (wobei das Feuerwerk zur Eröffnung vor fünf Jahren doch
eigentlich ganz hübsch war). MKG-Direktorin Tulga Beyerle habe ihm dann die
Zusammenarbeit mit dem niederländischen [1][Studio Drift] nahegelegt.
Gegründet in den Nullerjahren von Lonneke Gordijn und Ralph Nauta,
entwickelt Drift aufwendige kinetische Installationen an der Grenze
zwischen Design und (Raum-)Kunst. Mittlerweile eine Art künstlerischer
Großkonzern mit 64 Mitarbeiter*innen – unter anderem für Technik,
Architektur und Design –, entwickelte Drift für die Elphi „Breaking Waves�…
Eine Art Drohnenballett sollte da das Konzerthaus umschwirren. Weil das
angesichts der hohen Corona-Inzidenzen aktuell in Hamburg nicht
realisierbar ist, wurde „Breaking Waves“ auf den 28. April verschoben –in
der Hoffnung, dass so ein Event dann auch vor großem Publikum möglich ist.
Angesichts dieser Umstände wirkt die kleine Werkschau, die Beyerle in ihrem
Museum ausgerichtet hat, ein wenig unvollständig. „Nur drei Arbeiten!“,
zeigt sich ein Kollege beim Presserundgang enttäuscht, und, ja, aus
quantitativer Perspektive ist „Moments of Connection“ dünn geraten. Allein:
Drift, das sind nicht wirklich Museumskünstler*innen, sie brauchen das
große Event, in dessen Rahmen sich ihre ästhetische Wucht entfalten kann.
Nicht nur, dass „Moments of Connection“ die erste Einzelausstellung des
Duos in der Bundesrepublik ist, auch international taten sich die
Institutionen lange schwer mit Drift, ungeachtet des großen kommerziellen
Erfolgs.
Im MKG ist nun also die eingangs beschriebene Treppenhaus-Installation
„Shylight“ (2006) zu sehen, ein Maschinentheater (zu dem passenderweise
eine kaum hörbare Kammeroper von Phillip Glass erklingt) sowie die beiden
Raumarbeiten „Fragile Future III“ (2005) und „In 20 Steps“ (2015). Wenig
für eine Werkschau, ermöglichen diese drei Projekte aber schon zu zeigen,
wie Drift arbeitet: Es geht hier um ausgeklügelte Technik, die jeweils
einen ganzen Raum in Beschlag nimmt; und es geht darum, diese Technik mit
organischen Positionen in Verbindung zu setzen.
Bei „Fragile Future“ sind das unzählige Leuchtelemente, die den
Ausstellungsraum zu überwuchern scheinen. Einerseits erinnern diese sanft
vor sich hinglühenden Objekte an eine molekulare Struktur, andererseits ist
ihr organischer Charakter unübersehbar: Es handelt sich um Löwenzahnsamen,
in die kleine LED-Lampen hineinmontiert wurden. Die Installation wirkt also
nicht nur wuchernd, es sind tatsächlich Samen: Pflanzenkeime, die der
Fortpflanzung dienen und so, zumindest theoretisch, ungeordnetes Wuchern in
sich tragen.
In rund 20 Minuten sei einer der winzigen Leuchtlöwenzähne hergestellt,
erzählt Lonneke Gordijn: ein kleiner Hinweis darauf, was für eine
Arbeitsleistung in der riesigen Installation liegt. Gordijn möchte hier ein
„Statement gegen Massenproduktion und Wegwerfgesellschaft“ setzen, was
nicht sofort einleuchtet – aber immerhin geht „Fragile Future“ als Feier
der nerdhaften Heimarbeit durch. Und als Kunstwerk, das einen gleichzeitig
mit der warmen Freundlichkeit eines Lampenladens einspinnt, bevor man sich
fragt, ob sich hinter der künstlerischen Glätte des Gezeigten womöglich
noch etwas regt, ein organisches Gespinst, dessen Wachsen sich irgendwann
der Kontrolle entziehen wird?
Ähnlich auch die Skulptur „In 20 Steps“. Eine Konstruktion aus 20
Glasröhren hebt und senkt sich langsam, man denkt an sanften Wellengang, an
den beruhigenden Charakter von an- und abschwellender Dünung. Bis man
plötzlich erkennt, dass das Ganze auch ein lebendes Wesen sein könnte; man
entdeckt Rippen, die von einer wirbelsäulenartigen Strebe verbunden sind –
und der Wellengang wird zur Bewegung, ein Krampfen und Strecken, eine
tänzerische Aktion fast. Hier wird die Nähe der Drift-Ästhetik zur
Darstellenden Kunst deutlich, eine Verwandtschaft, die sich auch schon in
der Kammeroper-Installation „Shylight“ zeigt.
Es wird aber auch klar, dass Drift unrecht tut, wer diese Kunst vor allem
als gefällige Dekorationskunst an der Grenze zum Kitsch kategorisiert. Ja,
die im Rahmen von „Moments of Connection“ gezeigten Arbeiten sind leicht
zugänglich, sie begeistern durch ihre Detailtreue und dadurch, dass man
ihnen ansieht, wie viel in sie investiert wurde. Aber sie haben einen
doppelten Boden, der weit über die harmlosen Handreichungen hinausweist,
die die Ausstellung den Installationen zugesteht: „Man meint, den
Flügelschlag eines Vogels in Zeitlupe zu sehen“, steht da etwa über „In 20
Steps“, und ja: Da ist etwas dran. Man meint aber auch, eine organische
Struktur zu sehen, eine Bewegungsabfolge, und dass man diese Bewegung nicht
bis ins Letzte nachvollziehen kann, ist ein zutiefst beunruhigendes Gefühl.
Ein zentrales Element bei Drift ist das Aufeinandertreffen von Technik und
organischer Struktur. Bei Licht betrachtet, sind die Arbeiten fast reine
Technik, allerdings: Die künstlerische Leistung dieser Installationen liegt
darin, die vermeintliche Sicherheit dieser Betrachtung zu erschüttern. Bis
man glaubt, dass da Dinge passieren, die von der analytischen Sicherheit
des Betrachters gar nicht mehr erfasst werden können. Das ist der Moment,
in dem aus Dekoration Kunst wird.
10 Jan 2022
## LINKS
[1] /Moderne-Kunst-der-Niederlande/!5506611/
## AUTOREN
Falk Schreiber
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