# taz.de -- „Es ist ein Spielen mit der Zeit“ | |
> Ein Konzert in Bremen erkundet dietemporalen Strukturen von Musik und | |
> ihre Tücken | |
Interview Teresa Wolny | |
taz: Herr Sieroka, was ist, aus zeit-philosophischer Perspektive, Musik? | |
Norman Sieroka: Musik ist in besonderer Weise ein zeitliches Phänomen und | |
hat viel mit dem Erleben von Zeit zu tun. Auf der materiellen, | |
physikalischen Ebene geht es um Frequenzen und Dauern. Aber auch im Erleben | |
geht es um zeitliche Regularitäten, um Klänge und Rhythmen. | |
Ändert sich diese Charakterisierung, wenn wir nicht von Livemusik, sondern | |
von Aufnahmen sprechen? | |
Die erlebte Zeit ist dabei sehr unterschiedlich. Die Unmittelbarkeit des | |
Erlebens ist bei einem Konzert eine ganz andere. Aus einem Konzert gehe ich | |
ganz anders heraus als aus dem Hören einer Aufnahme. Ein bekanntes Stück | |
zum Thema „erlebte Zeit“ ist „Four Thirty-Three“ von John Cage, in dem | |
viereinhalb Minuten gar kein Ton zu hören ist. Gerade bei diesem Stück kann | |
man sich fragen, auf welche Strukturen in der Zeit man eigentlich hören | |
soll. Oft bestehen die Strukturen aus Melodien, bei denen mehr oder weniger | |
klar ist, auf was ich achten muss. Aber Cage geht es in dem Stück wohl eher | |
darum, alle Geräusche als Teil der Musik zu akzeptieren. Denn es ist in | |
dieser Zeit ja nicht still – ein Stuhl knarzt, jemand hustet. Musik ist | |
dann spannend, wenn etwas nicht erwartet wird, und damit spielt Cage ganz | |
bewusst. Aber auch im Jazz geht es viel um Erwartungen und Spontaneität. | |
Sind Zeitstrukturen bei improvisierten Stücken anders als bei Partituren? | |
Auch in jedem auskomponierten Werk geht es um Zeitstrukturen, aber eine | |
Besonderheit beim Improvisieren ist der eigene freie Umgang damit. Es ist | |
quasi ein Spielen mit der Zeit – was passiert, wenn ich diese Pause länger | |
mache, wie reagiert das Publikum, und wie reagieren vor allem die anderen | |
Musiker:innen auf der Bühne darauf? Improvisation ist dabei übrigens | |
nicht auf den Jazz begrenzt, sondern findet ebenso statt, wenn Anna | |
Depenbusch als Liedermacherin am Klavier sitzt und spontan aufs Publikum | |
reagiert. | |
Neben ihr stehen am Samstag Saxofonist Uwe Steinmetz und Organist Daniel | |
Stickan auf der Bühne. Was ist das Besondere bei diesem Konzert? | |
Dass die drei zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne stehen, um Zeit hörbar | |
zu machen. An der Uni gebe ich gerade ein Seminar, in dem wir uns | |
theoretisch mit dem Zusammenhang von Zeit und Musik beschäftigen. Vor dem | |
Konzert gibt es für die Studierenden einen Workshop, in dem die | |
Künstler:innen selbst erzählen, warum Zeit in ihrer Kunst so wichtig | |
ist. Und abends gibt es dann als Höhepunkt das öffentliche Konzert. | |
2 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Teresa Wolny | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |