# taz.de -- In den Waldkarpaten | |
> 1930 lebten 800.000 Rumäniendeutsche in Rumänien, 2003 waren es noch | |
> 30.000. Was ist mit all den Familien passiert? Thomas Perles | |
> „karpatenflecken“ am Deutschen Theater folgt auch der eigenen Biografie | |
Bild: „karpatenflecken“ von Thomas Perle mit Katrin Klein, Julia Windischba… | |
Von Barbara Behrendt | |
Kurz vor Schluss dann doch noch eine bedenkenswerte Szene aus der jüngeren | |
Vergangenheit. Die Großmutter aus den rumäniendeutschen Waldkarpaten regt | |
sich auf, dass ihre Schwester die ungarische Staatsbürgerschaft angenommen | |
hat – wo man doch im Herzen „teitsch“ sei. Victor Orbán aber loben sie | |
beide: Richtig sei es, dass er die „Schwarzen und Araber“ nicht ins Land | |
lasse. Als sie damals aus ihrer Heimat vertrieben wurden, sei das natürlich | |
etwas ganz anderes gewesen. Die Araber, das sind schließlich keine | |
Christen. Die sollen dahin gehen, wo sie hergekommen sind. Die Enkelin | |
kopfschüttelnd: „Das haben sie schon zu uns gesagt.“ | |
Wie aus einem anderen Stück fällt diese Szene herab, denn so lebensnah ist | |
es zuvor nicht zugegangen. Da hat Thomas Perle in einer arg prätentiösen | |
Kunstsprache, in der es nie ganze Sätze gibt, sondern immer ein paar Worte | |
fehlen, wie das seit einigen Jahren en vogue zu sein scheint bei jungen | |
Autoren, die Spotlights nur jeweils einen kurzen Moment auf die großen | |
Zeitenbrüche gerichtet. | |
Perle geht nicht chronologisch vor, doch historisch betrachtet beginnt das | |
Stück (bis auf eine Rückblende ins 18. Jahrhundert) im Jahr 1939: Die | |
Großmutter will nicht heiraten, weil es im Tal keinen „teitschen Mann“ | |
gibt, nur die „Hitleristen“, und die kann sie nicht leiden. Einen „Romene… | |
oder „Walachen“, also einen Rumänen oder Ungarn, will sie auf keinen Fall | |
ehelichen. Später verliebt sie sich dann doch in einen Rumänen. In einer | |
nächsten Sequenz haben schon die Ungarn das Sagen. Es folgt die Vertreibung | |
1944. Die Revolution und der Mord an den Ceaușescus wird zur Miniszene, bei | |
der die Mutter schockiert vor dem Fernseher sitzt – und am nächsten Tag die | |
Koffer packt. Aus den 1990ern gibt die Tochter einen kurzen Einblick ins | |
Leben in Deutschland, diesmal ist sie nicht die fremde Deutsche, sondern | |
das fremde Mädchen aus dem Ostblock. | |
Es sind Splitter seiner eigenen Lebensgeschichte, die Thomas Perle streut. | |
Kleine, impressionistische Geschichtstupfen. Er ist selbst als | |
Rumäniendeutscher in Oberwischau geboren, in den Waldkarpaten im Norden | |
Rumäniens. Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Gebiet von Österreichern zur | |
Salzgewinnung besiedelt, daher die deutschsprachige Bevölkerungsgruppe. | |
In den Waldkarpaten ist auch sein Stück angelegt, als Familiengeschichte | |
über drei Frauengenerationen: die Großmutter noch im Königreich Rumänien | |
geboren, die Tochter in der Volks-, die Enkelin in der Sozialistischen | |
Republik. Über sie erfährt man wenig, sie stehen eher als prototypische | |
Vertreterinnen ihrer Generation. | |
Schön aber, dass Thomas Perle in mehreren Sprachen schreibt, die den Inhalt | |
reflektieren: Die Großmutter spricht Wischaudeutsch – es klingt wie eine | |
Mischung aus Österreichisch und Jiddisch. Die Tante, die einen Ungarn | |
geheiratet hat, spricht dagegen Ungarisch. Und die Enkelin hat fürs | |
Publikum beides ins Deutsche zu übersetzen. | |
Da passt es, dass der Regisseur András Dömötör inszeniert, gebürtiger | |
Ungar. Überhaupt kann Perle von Glück sagen, dass ihm ein so versierter | |
Uraufführungsregisseur zur Seite steht, der weiß, wie man aus einem doch | |
eher konstruierten Stück sinnliches und mitunter komisches Theater macht. | |
Auf der kleinen Bühne stehen viele gelbe Kisten gestapelt – sie | |
symbolisieren das Gebirge, die Karpaten, und gleichermaßen die | |
Umzugskartons dieser bewegten Leben. Später tragen die drei | |
Schauspielerinnen den Berg ab und basteln aus den Kisten einen tristen | |
Plattenbau. | |
Dömötör lässt das Ensemble einen alpenländischen Chor formen, das Hackbrett | |
anschlagen und Julia Windischbauer ein Lautgedicht über die Kriegszeit wie | |
einen Bombenhagel performen. Ohnehin tragen die Schauspielerinnen | |
maßgeblich zur Rettung des Abends bei. Vor allem Katrin Klein als | |
Großmutter mit matronenhafter Rechtschaffenheit, überhöhter Heimatliebe und | |
dem wunderbaren wischaudeutschen Dialekt. | |
Darüber hinaus hat sich Thomas Perle schlicht ein bisschen zu viel | |
vorgenommen – drei Generationen in einem so bewegten Jahrhundert und Land | |
kann der Abend in seinen 70 Minuten höchstens streifen. Wer die | |
rumäniendeutsche Historie nicht kennt, wird schwer folgen können – wer sie | |
kennt, erfährt wenig Neues. | |
Nichtsdestotrotz ist es großartig, dass sich am Theater überhaupt jemand | |
mit diesen Kapiteln der Geschichte beschäftigt, über die die allermeisten | |
von uns doch viel zu wenig wissen. Warten wir also auf Perles Stück, das | |
die aufregenden Biografien der Rumäniendeutschen etwas üppiger erzählt, | |
statt nur von Umbruch zu Umbruch zu hüpfen. | |
14 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Barbara Behrendt | |
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