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# taz.de -- Berlins heikle Entfristungspläne
> Erst der Mietendeckel, jetzt das Hochschulgesetz? Rot-Rot-Grün wollte mit
> der Hochschulnovelle für mehr unbefristete Jobs in der Wissenschaft
> sorgen. Jetzt könnte auch dieses Vorhaben scheitern
Von Marilena Piesker
Hat Berlin sich mal wieder verhoben? Wie aus einem Rechtsgutachten vom
Montag hervorgeht, könnte die jüngste Reform des Hochschulgesetzes
verfassungswidrig sein. „Für eine solche Regelung fehlt dem Land Berlin die
Gesetzgebungskompetenz“, heißt es in dem Gutachten der Berliner
Humboldt-Universität (HU). Im Mittelpunkt der Kritik steht der Paragraf
110, der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mehr unbefristete
Stellen garantieren soll.
Laut dem Gutachten handelt es sich bei dem Paragrafen um eine
arbeitsrechtliche, nicht jedoch eine hochschulrechtliche Regelung, sie
fällt damit in den Kompetenzbereich des Bundes. Hätte der rot-rot-grüne
Senat diese Novelle also gar nicht eigenmächtig umsetzen dürfen? Die
Berliner CDU jedenfalls kündigte bereits rechtliche Schritte an. „Die
CDU-Fraktion unterstützt die Forderung und wird das Verfahren über die
Bundestagsfraktion auf den Weg bringen“, sagte der forschungspolitische
Sprecher Adrian Grasse am Montag. Im schlimmsten Fall scheitert das Gesetz
wie zuletzt der Mietendeckel vor Gericht.
Für die Betroffenen wäre das eine herbe Enttäuschung: Die Reform hätte die
Arbeitsbedingungen für eine Mehrzahl von Wissenschaftler*innen
deutlich verbessern können. Derzeit sind rund 92 Prozent aller
wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen unter 45 befristet angestellt.
„Das ist für viele Betroffene ein großes Problem: Sie wissen nicht, wo und
wann sie den nächsten Job oder die nächste Projektzusage erhalten, und im
schlimmsten Fall nicht einmal, wie sie ihre Miete bezahlen sollen“, klagt
Amrei Bahr, Mitinitiatorin des Protestes #IchbinHanna – die Aktion hatte
die prekären Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung in die
breite Öffentlichkeit getragen.
Schon vor dem Rechtsgutachten sorgte die Hochschulnovelle für Unmut.
HU-Präsidentin Sabine Kunst war vergangene Woche aus Protest gegen die
Reform von ihrem Amt zurückgetreten – und wurde dafür scharf kritisiert.
Demnach sperre sich Kunst mit allen Mitteln gegen die Einführung
unbefristeter Stellen für sogenannte Postdoktoranden. „Tatsächlich hat das
von Frau Kunst geleitete Präsidium in den letzten fünf Jahren entsprechende
Initiativen für bessere Arbeitsbedingungen des Mittelbaus ausgebremst“,
moniert etwa Reinhard Flogaus, Privatdozent und Sprecher des Mittelbaus im
Akademischen Senats der Humboldt-Uni.
Kunst steht mit ihrem Widerstand gegen die Novelle nicht allein da. Auch
die Freie Universität sperrt sich gegen die Reform und hatte beschlossen,
zunächst keine promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mehr
einzustellen und bestehende Verträge nicht zu verlängern.
Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter Anja
Karliczek (CDU) scheint die prekäre Arbeitssituation wissenschaftlicher
Mitarbeiter*innen nicht anzuerkennen. Erst Ende Juni verteidigte
Karliczek im Bundestag ausdrücklich jenes Wissenschaftszeitvertragsgesetz,
das die Anreihung befristeter Arbeitsverträge überhaupt erst möglich macht.
„Wären die Stellen nicht befristet, bekämen deutlich weniger Menschen dazu
die Chance“, sagte die Ministerin. Auf Anfrage der taz wollte das BMBF zur
Berliner Hochschulnovelle keine Stellung nehmen, betonte aber ausdrücklich,
dass es „die klare Erwartung an Länder und Hochschulen nach mehr
Dauerstellen“ habe. Wie die Länder das aber umsetzen sollen, lässt das BMBF
offen.
Dass eine mögliche Klage tatsächlich durchgeht, hält zumindest
HU-Senatsmitglied Flogaus für unwahrscheinlich. „Dieses Rechtsgutachten
darf nicht überbewertet werden“, sagt er. „Auch die Senatskanzlei verfügt
über ausgewiesene Fachjuristen, die selbstverständlich die Novelle vorher
geprüft haben.“
3 Nov 2021
## AUTOREN
Marilena Piesker
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